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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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ist.«
    »Bienenhaus?«, entgegnete sie kichernd. »Die Bienen lassen sich in Baumstämmen oder Löchern in den Felsen nieder   … was immer sie finden.«
    »Dann züchtet ihr sie also nicht?«
    »Nein. Sie leben frei, und solange du nicht ihre Königin bedrohst, tun sie dir auch nichts, wenn du ihren Honig nimmst«, antwortete sie mit einem vielsagenden Lächeln.
    Während sie ihm Schlamm auf die Stiche strich, bewunderte Diego die große, von Steinquadern gesäumte Zisterne auf einer Art Terrasse. An der hinteren Seite grenzte das Wasserbecken |186| an den blanken Felsen, an dem Inkalilien hingen und von dem das warme Wasser herabströmte, dessen Dämpfe sich mit dem betörenden Duft der Blüten vermischten.
    Und dann erzählte Sírax ihm, dass jene Indios, die er in Cuzco gesehen habe, sie nach Vilcabamba gebracht hätten, da Túpac Amaru sie an seiner Seite verlangt habe. Ihr Bruder sei jedoch ganz anders als die kriegerischen Generäle und fanatischen Priester, die unter seinem Vorgänger Tito Cusi das Sagen hätten. Er sei ein versöhnlicher Mensch, ein tapferer, zäher Krieger, ein würdiger Nachfolger der Inkas und der Einzige, der das alte Reich noch retten und es wieder zu dem machen könne, was es vor der Ankunft der Konquistadoren gewesen sei. Túpac Amaru kenne die Spanier gut,sie könnten ihn nicht blenden oder einschüchtern. Er sei ein Mensch, der es sich gut überlege, ehe er zu den Waffen greife; habe er jedoch einmal die Entscheidung getroffen, dann gehe er mit Entschlossenheit vor.
    Daraufhin musste Acuña ihr berichten, was sich seit ihrem Weggang in Cuzco zugetragen hatte. Die junge Frau wusste bereits von Quispi Quipus traurigem Ende, musste aber dennoch unweigerlich aufschluchzen, als er ihr von seinem Gespräch mit ihrer Mutter nach der Räumung des Schlangenhauses erzählte. Da stieg Diego aus dem Wasser, um ihr in diesem Augenblick schmerzlicher Erinnerung etwas überzuwerfen, und griff nach dem Erstbesten, was er finden konnte, einem äußerst fremdartig anmutenden Stoff.
    Noch immer schluchzend bat Sírax ihn, den Mantel liegenzulassen.
    »Niemand außer dem Inka darf ihn tragen«, erklärte sie ihm. »Ich habe ihn gerade für ihn gewebt.«
    »So etwas habe ich noch nie gesehen. Woraus ist er gemacht?«
    »Aus Fledermaushaar«, antwortete die junge Frau.
    »Aber dazu bedarf es doch unendlich vieler Tiere.«
    »Dort oben gibt es eine Höhle, die ist voll davon«, erwiderte |187| sie und zeigte hinauf zu dem Felsen, der die Terrasse überragte. Sie wickelte sich in ein Handtuch. »Du musst jetzt gehen. Sie holen gleich den Stoff. Und mich ebenfalls.«
    Als Diego sah, dass der Bienenschwarm sein Hemd verlassen hatte, hob er es auf.
    »Wer hat das gewebt?« Sírax befühlte es mit den Fingern.
    »Meine Mutter.«
    »Sie webt wie ich. Die spanischen Frauen weben genauso wie wir«, sagte sie nicht ohne Verwunderung, als hätte sie gerade ein gemeinsames Gut entdeckt.
    »Wie bist du hier reingekommen?«, wollte die junge Frau dann wissen.
    »Ich bin dem Verteidigungswall gefolgt.«
    »Hast du die Türme gesehen?«
    »Ja, mithilfe des Baumes bin ich dort über die Mauer geklettert.«
    »Dann hast du bestimmt auch die Plattformen mit den Felsbrocken gesehen, die die Bergschlucht schützen. Das darf niemand wissen. Ebenso wenig wie das, was ich dir über Túpac Amaru erzählt habe. Versprich mir, dass du es den Deinen nicht erzählst, und ich schwöre dir, dass ich den Meinen nichts über deine Anwesenheit hier verraten werde. Erführen sie, dass du dies alles weißt, würden unsere Krieger dich niemals lebend gehen lassen, ja vielleicht sogar euch alle töten.« »Ich verspreche es dir«, sagte Diego in feierlichem Ton.
    »Schwöre es bei diesem roten Quipu, das für uns so viel bedeutet.«
    Diego konnte nicht herausfinden, ob sie mit »uns« die Inkas meinte oder sie beide. Aber er schwor, ohne zu zögern, die Hand auf den Knoten.
    Danach zeigte sie ihm, wie er am gefahrlosesten zurückkehren konnte.
    »Du musst zum Gipfel hinaufsteigen und dort einen Pfad suchen, der auf der anderen Seite wieder hinunterführt. Auf ihm gelangst du an einen sichelförmigen Einschnitt im Berg |188| dahinter. Meide die Höhle, die sich dort in der Nähe befindet. Sie birgt große Gefahren. Aber falls du dich doch darin verstecken musst, gehe nur an die Stellen, wo es Fledermäuse gibt. Dort ist es sicher.« Die junge Frau drückte das rote Quipu, das so viel für sie zu bedeuten schien, an ihre Brust. »Danke,

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