Quipu
dass du es mir zurückgegeben hast«, verabschiedete sie sich.
Diego kletterte den Berg hinauf und stieg auf der anderen Seite wieder hinab. Dort glaubte er den sichelförmigen Einschnitt in dem Berg auszumachen. Dennoch verlief er sich auf dem Abstieg, sodass ihn ein paar indianische Wächter entdeckten, die sich sofort auf ihn stürzten und ihn fesselten.
Als sie ihn in die Zitadelle brachten, wurde ihm der Ernst seiner Lage bewusst. Nicht einmal seine Kameraden würden sich für ihn einsetzen, da sie sonst als Komplizen eines Menschen dastünden, der seines unvernünftigen Verhaltens wegen als Spion gelten musste.
Im Kern der Befestigungsanlage, kamen sie auf einen großen Platz, wo sich gerade Hunderte von Kriegern versammelten. Einige traten an Diego heran, nannten ihn Dieb und Feigling, drohten, ihn auf der Stelle zu töten, und rückten ihm mit ihren Lanzen zu Leibe, deren Spitzen seinen Rippen beängstigend nah kamen. Sie drohten ihm zudem, ihn gleich roh zu verspeisen, und zeigten ihm sieben auf Pfähle gespießte Köpfe von Spaniern: Manco Cápacs Mörder.
Ein besonders wilder, mit glänzenden Federn und silbernen Behängen geschmückter Häuptling prahlte mit einer Trommel, die aus der Haut eines ihrer Feinde gefertigt sei. Die eine Seite der Trommel bestand aus der Rücken-, die andere aus der Bauchhaut, und an den Seiten hingen ein Kopf, Füße und Hände herab. Der gesamte Mensch war zur Kesselpauke geworden.
Nach diesem so ermutigenden Empfang führte die Wache ihn in den Palast. Als der Dolmetscher durch den Haupteingang trat, konnte er sehen, wie sorgsam die aus Zedernholz |189| gefertigten Türen und der mit kunstvollen Gemälden geschmückte Salon gearbeitet waren. Sie waren nicht das Werk von Wilden.
In der Mitte hieß man Diego stehenbleiben. Um ihn herum herrschte angespanntes Schweigen, auch wenn er hinter sich kreischende Kinder und das Zwitschern von Vögeln hören konnte.
Vor ihm erhob sich ein mit Vikunja-Teppichen ausgelegtes Podest mit einem Baldachin und der königlichen Standarte. Auf der einen Seite, dem Ehrenplatz, stand ein Goldgötze. Diego war sofort klar, dass es sich hierbei um den Punchao handelte, das wertvollste Götterbild des Reiches, das die Asche der Herzen sämtlicher Inkaherrscher enthielt. Er beschützte Vilcabamba und war sein Hauptorakel. Solange die Inkas den Punchao besaßen, waren sie Herr über ihr Schicksal.
Erst nach geraumer Zeit erschien Túpac Amaru. Der kräftig gebaute Inka war noch keine fünfunddreißig Jahre alt, sein Antlitz edel, der Blick offen und direkt. Eine beeindruckende Gestalt. Die Ohrläppchen waren durchstochen, und um die Stirn wand sich wie eine Krone die
mascaipacha
. Sein Gewand war so fein und glänzend, dass Diego eine Weile brauchte, bis er erkannte, dass es jener Stoff war, den Sírax aus Fledermaushaaren gewebt hatte. Über dem purpurnen Schurz trug er am Gürtel einen prächtigen juwelenbesetzten Dolch. Die Knie waren mit farbigen Bändern, die Fußknöchel mit silbernen Schellen geschmückt, und auf seiner Brust prangte eine goldene Sonnenscheibe. Der Federstab und eine Art goldenes Zepter vervollkommneten seine Erscheinung.
Der Inka fragte, warum der Spanier sich bei ihnen befinde. Einer der Generäle erklärte, er sei innerhalb der Festungsmauern gefasst worden; man halte ihn für einen Spion und plädiere dafür, ihn zu töten.
Derselben Meinung war auch der
villacumu
oder Oberste Priester, der nach dem Inka der Ranghöchste zu sein schien |190| und offensichtlich großen Einfluss auf diesen hatte. Er rief die Behandlung in Erinnerung, die man jenen spanischen Mönchen hatte zuteil werden lassen, die gekommen waren, um sie zu taufen, und das, was mit ihren Kelchen und Schmuckstücken passiert war. Er hob einen Kokabeutel hoch, auf dem noch das Kreuz eines Messgewandes zu erkennen war.
Der Inka hatte ruhig und gelassen zugehört. Er bat um weitere Zeugenaussagen, doch meldete sich niemand mehr zu Wort. Erst als Túpac Amaru sein Urteil fällen wollte, erklang hinter ihm eine Stimme:
»Er ist kein Spion, sondern ein Dolmetscher, der unsere Sprache perfekt beherrscht. Er hat mich schon in Cuzco gerettet, und ihm verdanke ich, dass ich dies hier wiederhabe.«
Es war Sírax, die nun allen das rote Quipu zeigte.
»Einen Menschen mit einem solchen Freibrief darf man nicht töten. Außerdem weiß ich genau, wie er hereinkam, denn ich saß auf der Terrasse des Palastes und webte, als er mir das Quipu zeigte. Ich habe ihn
Weitere Kostenlose Bücher