Rabenblut drängt (German Edition)
Nikolaus es nur geschafft, hier eine Wohnung zu ergattern? Ich flog dicht an den Fenstern des Altbaus vorbei, keine Rollläden verhinderten die Sicht nach innen.
Ich hörte Stimmen im Haus. Kinderstimmen. Als ich den Rahmen eines Fensters im ersten Stock streifte, kreischte drinnen ein Mädchen auf. Im ersten Moment schreckte ich zusammen, und musste mich beherrschen, meinem Fluchtinstinkt nicht nachzugeben. Schließlich hörte ich Nikolaus’ Stimme. Sein Kopf erschien am Fenster und ich versuchte, mich auf derselben Höhe in der Luft zu halten. Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Lage zu erfassen und riss das Fenster auf. Ich segelte hinein und fand mich vermutlich im Esszimmer wieder, denn ein großer runder Tisch nahm den Raum fast vollständig ein. Darauf lag allerhand Spielzeug.
Nikolaus streckte den Kopf aus der Zimmertür.
»Marina!«, rief er in den Flur. »Sag deiner Mama, dass wir heute Abend noch Besuch bekommen. Ich hab vergessen ihr zu sagen, dass ein Freund angerufen hat.«
Eine fiepende Stimme antwortete etwas Unverständliches.
»Ist mir egal!«, brüllte er und hielt kurz inne. »Ist gut, von mir aus kannst du die braune Stute nehmen, aber im Galopp!«
Die braune Stute? Ich krähte und Nikolaus drehte sich zu mir um.
»Pferdephase«, sagte er knapp, als erklärte das alles. Dann stahl er sich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich hüpfte unbeholfen hinter einen Stuhl, weil ich ungern von einem der Kinder oder gar Nikolaus’ Frau überrascht werden wollte. Ich musste nicht lange warten. Nikolaus kam zurück und legte ein paar Kleidungsstücke auf den Tisch.
»Worauf wartest du?«, fragte er. »Bist du auf einmal genant geworden?«
Ich würgte etwas hervor, dass ich selber nicht verstand und flatterte auf der Stelle. Ich und genant? Ich war noch nie besonders verlegen gewesen, wenn es um die körperlichen Aspekte meines Rabendaseins ging. Das brachte mein Leben nun mal mit sich.
Ich versuchte, die Kontrolle über meinen Körper zu erlangen und zog den Kreislauf meines Rabenblutes enger zusammen.
Nikolaus trat ungeduldig auf der Stelle.
»Mach schon! Katharina kommt gleich. Du weißt gar nicht, wie neugierig Frauen sein können!«
Diese Drohung machte es mir nicht gerade leichter. Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich ihn angeknurrt.
»Es gibt Schweinebraten zum Abendessen. Mit Klößen.« Er grinste breit.
Ich kniff verärgert die Augen zusammen.
»Und als Nachtisch Vanillepudding. Mit Krokantstreusel - hat Marina sich gewünscht.« Sein Grinsen wurde noch breiter.
Hatte ich Arwed gegenüber nicht behauptet, ich hätte solche menschlichen Gelüste nicht mehr?
Aber Krokantstreusel?
Ein klatschendes Geräusch, und ich brach aus meinem Rabenkörper aus. Nikolaus stand wie erstarrt vor mir, die Stirn gerunzelt.
»Irgendwie ist das echt ekelig, Alexej.«
Ich warf den Blick suchend nach geeignetem Wurfmaterial umher, aber Nikolaus las meine Gedanken und hob abwehrend die Hände.
»Nicht das Playmobil. Marina erwürgt mich mit ihren kleinen Fingern, wenn wir irgendetwas verändern! Glaub mir, das sieht sie sofort!«
»Arsch«, entfuhr es mir spontan.
»Ich hab dich auch echt vermisst!« Er beugte sich vor, um mich zu umarmen, besann sich dann aber eines Besseren.
»Vielleicht solltest du dir lieber erst was anziehen. Könnte blöd aussehen, wenn meine Frau uns so sieht.«
Ich schnaubte und griff nach dem Kleiderbündel, schlüpfte in die Unterhose und zog mir die dunkelblaue Jeans über die Beine.
»Du bist echt dünn geworden.« Er klang besorgt. »Und wir haben erst Ende November!« Jetzt klang es vorwurfsvoll.
»Ich hatte in letzter Zeit wenig Geduld mit der Nahrungssuche«, gestand ich ihm.
»Was hat das denn mit Geduld zu tun? Entweder man hat Hunger oder nicht.«
»Dann hatte ich eben keinen Hunger.«
Er musterte mich eingehend, während ich mir das T-Shirt über den Kopf zog und mit den Fingern durch das Haar fuhr. Die Strähnen reichten mir wieder bis über die Ohren und meine Wangen fühlten sich rau an.
»Meinst du, ich könnte mich noch -«
»Rasieren? Vergiss es! Ich gebe Katha maximal zehn Sekunden.«
Im selben Moment flog die Tür auf und ließ ein wieherndes Kind ein, gefolgt von ihrer Mutter. Ich kannte Nikolaus’ Frau nur von dem Foto, das er mir gezeigt hatte und war verlegen, weil ich in diesem ungepflegten Zustand hier vor ihr stand: unrasiert, ohne Schuhe und in den Kleidern ihres Mannes, die mir auch noch viel
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