Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
werde ich. Und es liegt an Kara, wie viel Zeit ich mir damit lasse.« Er wandte sich wieder ihr zu. »Entfache das Feuer, Seherin!«
Kara starrte ihn an. Herons Augen waren von dem gleichen herrlichen Blau wie die Ravens, aber Wärme und Freundlichkeit suchte man darin vergebens. Der Fürst war ein eiskalter, berechnender Mensch – verweigerte sie sich seinem Befehl, würde er nicht zögern, ihre Freunde qualvoll umzubringen.
Ihr Blick wanderte zu dem Wasserbecken. Das Feuer zu befragen, barg jedoch ebenfalls ein Risiko. Durch die Ereignisse in Tharwyn hatte sie keine Zeit gehabt, weiter über die Prophezeiung nachzudenken: Wer war nach der Weissagung der wahre Erbe Wegons – Raven oder Heron?
Falls Heron noch nichts von seinem Halbbruder ahnte, würde er es durch die Befragung des Feuers unweigerlich erfahren. Und Ravens Leben, um das sie so hart gekämpft hatte, wäre verwirkt. Kara biss sich auf die Lippe. Raven hasste sie, dennoch war ihre Liebe zu ihm weiterhin tief. Sein Tod war das Letzte, was sie sich wünschte! Aber wenn sie versuchte, ihn zu retten, würde sie unweigerlich Unheil über ihre Freunde bringen. Und egal, was Theon sagte, die Schreie der Menschen zu hören, die ihr etwas bedeuteten, würde sie nicht aushalten können.
Das Einzige, was ihr blieb, war Zeit zu gewinnen, damit Raven fliehen und ihre Mutter ihre Truppen vor dem Tempel in Stellung bringen konnte. Entschlossen straffte sie die Schultern und sah Heron an. »Der Feuerzeremonie geht immer eine rituelle Waschung voraus. Außerdem bin ich müde und hungrig und habe keine Kraft ...«
Ein Schlag ins Gesicht ließ sie verstummen. »Deine Befindlichkeiten interessieren mich genauso wenig wie deine Rituale«, zischte Heron. »Ich will dieses Feuer – jetzt!«
Er stieß ihr in den Rücken, so dass sie vor dem Becken auf die Knie fiel. Keuchend fing sie sich mit den Armen ab und blickte auf das schillernde Wasser.
»Fang an, Seherin«, wiederholte der Fürst seinen Befehl, »sonst wird die Köchin des Tempels bald eine Frau ohne Zunge sein.«
Kara hörte Ednas Schrei und streckte ihre Hand in das Becken. Kaum tauchten ihre Finger in das Wasser, schossen die blaugrünen Flammen empor. Hastig richtete sie sich auf und sah sich nach ihren gefangenen Freunden um. Edna schien unversehrt, doch ihr Gesicht war bleich, und Beron lag bewusstlos am Boden. Wahrscheinlich hatte er versucht, seiner Frau beizustehen und war niedergeschlagen worden.
»Braves Mädchen.« Heron kam zu ihr. Seine Erscheinung, die sie so sehr an Raven erinnerte, machte seine Nähe noch unerträglicher. »Lange Jahre habe ich über die Prophezeiung nachgedacht und nun habe ich endlich die Lösung gefunden«, erklärte er. »Das Feuer des Tempels ist die Waffe, und mit deiner Hilfe werde ich es mir untertan machen. Mit meinen Händen greife ich die Flammen und schleudere sie auf meine Feinde. Du wirst neben mir stehen und sehen, wie deine Mutter brennt.« Ein Leuchten trat in seine Augen. »Schade, dass mein Vater den Augenblick meines Triumphes nicht mehr miterleben kann. Das hätte seine ewigen Zweifel an mir ein für alle Mal vernichtet.«
Kara hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. War es möglich? Würde Heron mit ihrer Hilfe unbesiegbar werden? Könnte das Feuer, in dessen Licht die Göttin zu ihr sprach und mit dessen Kräften sie heilen konnte, wirklich zu einer zerstörerischen Kraft werden? Schlagartig wurde ihr eiskalt.
Heron, der gierig das brennende Becken betrachtet hatte, streckte einen Finger in die blaugrünen Flammen. Sofort zog er ihn jedoch wieder heraus, und auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. »Das Feuer ist noch nicht bereit. Verändere es, Seherin, damit ich es ebenso wie du berühren kann!«
Erschrocken sah sie ihn an. »Ich ... ich weiß nicht, wie das geht!«
»Dann solltest du es schnell herausfinden«, entgegnete er und Kara sah, wie der Krieger, der Xalva hielt, sein Messer zog.
Schnell streckte sie ihre Hände in die Flammen und das Feuer begann, an ihren Fingern zu lecken. Ihre Aussage, nicht zu wissen, was zu tun sei, war keine Lüge gewesen. Verzweifelt schloss sie die Augen und flehte stumm die Göttin an, ihr einen Hinweis zu schicken, was sie tun sollte – irgendetwas, das Heron fürs Erste befriedigen würde.
Doch nichts geschah.
Ihr inneres Auge blieb leer, in ihren Ohren erklang nur ein leises Summen. Kara spürte, wie Schweiß auf ihre Stirn trat. Diese Blindheit hatte sie schon öfter erlebt,
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