Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
eintreffen.«
Wenig später stand Raven auf einem Wagen und reichte Ziegel nach oben zu Tomin, der zusammen mit drei anderen Knechten das Dach eines Gästehauses deckte. Die Männer hatten ihn nur verhalten willkommen geheißen, was er ihnen nicht verübelte. Nach und nach jedoch verloren sie ihre Skepsis ihm gegenüber und banden ihn in ihre zotigen Späße ein.
Den ganzen Vormittag hörte Raven nun äußerst interessante Geschichten über das Leben im Tempel im Allgemeinen und die Vorzüge der Bewohnerinnen im Besonderen. Über Kara berichteten die Männer nichts. Auch beim Mittagessen erfuhr Raven nicht, was die Aufgabe der jungen Frau war, die Xalva erwähnt hatte und die Kara so aufs Gemüt drückte.
Am Nachmittag erledigte Raven verschiedene Aufträge im gesamten Tempelbezirk. Am Ende des Tages war es völlig klar: in der Anlage befand sich kein einziger Krieger der Fürstin Ylda. Mit dieser Erkenntnis war sein Auftrag erfüllt und er hätte den Tempel auf der Stelle verlassen können. Sich jetzt auf den Rückweg zu begeben, wäre sogar mehr als angebracht, denn der Halbmond war bereits überschritten. Bis zum Vollmond – der Frist, die Heron ihm gesetzt hatte –, waren es nur noch sechs Tage.
Doch Raven wollte nicht gehen, denn morgen würde das Feuer befragt werden. Die Knechte hatten es ihm erzählt, und daraufhin waren ihm Amartus‘ Erzählungen wieder eingefallen. Die Göttin würde durch eine Seherin zu den Menschen sprechen. Dieses Ereignis fand nur alle drei Monate statt und er wollte es sich keinesfalls entgehen lassen. Wenn er ehrlich war, wollte er außerdem herausfinden, was Kara belastete, bevor er zum Fürsten von Sarwen zurückkehrte.
Beim Abendessen verhielt sich Kara wieder auffällig schweigsam, aß allerdings brav ihren Eintopf auf, da Xalva sie nicht aus den Augen ließ. Nachdem sie ihre Schale ausgelöffelt hatte, sah die Heilerin sie streng an. »Du solltest heute früh zu Bett gehen«, erklärte sie in mütterlichem Tonfall. »Vorher verordne ich dir aber einen Spaziergang, damit du besser schläfst.« Sie sah in die Runde am Tisch. »Wer begleitet Kara?«
Die Heilerin hatte die Frage kaum ausgesprochen, da schnellte Ravens Arm in die Luft. Er musste seine Neugier bezüglich Kara endlich befriedigen und dies war eine ideale Gelegenheit.
Xalva schien mit ihm als Aufpasser zufrieden zu sein und auch Beron und Tomin widersprachen nicht. Kara selbst erhob ebenfalls keinen Protest, sondern stand sogleich auf. »Komm, Raven, lass uns gehen, bevor die Sonne versinkt.«
Gemeinsam verließen sie die Speisehalle und schlugen den Weg zum Haupttor ein. Dort angekommen stieg Kara die schmale, überdachte Holztreppe nach oben, die auf die Wehrmauer führte. Überrascht folgte Raven ihr. Die Wächter, die auf der Mauer ihren Dienst versahen, grüßten Kara höflich und schienen nichts dabei zu finden, dass er und sie dort einen Spaziergang machen wollten.
Der Gang auf der Mauer war mehrere Fuß breit, so dass Kara und er nebeneinander laufen konnten. Interessiert sah Raven sich um. Hier oben bot sich ihm nicht nur ein guter Ausblick auf das umliegende Land, sondern er erhielt auch einen Einblick, wie es um die Wehrhaftigkeit des Tempels bestellt war. So unauffällig wie möglich zählte er die Wächter, die ihren Dienst auf der Mauer absolvierten, und suchte die nähere Umgebung nach Versteckmöglichkeiten für Yldas Truppen ab. Er war so damit beschäftigt, sich alles einzuprägen, um Heron mit seinen Kenntnissen beeindrucken zu können, dass ihm erst nach einer Weile auffiel, dass Kara immer noch schwieg.
Mit verschränkten Armen stand sie neben ihm und schien ebenfalls etwas aufmerksam zu beobachten. Raven folgte ihrem Blick. Ihr Augenmerk war auf die Reisenden am Tor gerichtet, die morgen der Feuerzeremonie beiwohnen wollten und noch Einlass für die Nacht begehrten. Karas Gesicht wirkte furchtbar angespannt und er begann, sich wirklich Sorgen um sie zu machen. Da die Sonne bereits hinter den Grauen Bergen zu versinken begann, wurde es Zeit, sie zum Reden zu bewegen. Er trat vor Kara und versperrte ihr mit seiner Größe die Sicht. Empört sah sie ihn an und er blickte fragend zurück.
Es dauerte einen Moment, dann ließ sie die Arme sinken. »Also gut«, seufzte sie. »Ich bin schrecklich aufgeregt wegen morgen, weil ich die Seherin bin.«
Raven musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut zu rufen: Du? Denn was immer er erwartet hatte zu hören – das nicht! Er hatte gewusst,
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