Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
und er sie besser halten konnte. Schließlich verschränkte er seine beiden Hände vor dem Bauch und setzte seinen Weg fort.
Trotz ihres Widerwillens kam Kara nicht umhin, Ravens Stärke zu bewundern. Ihr Gewicht auf seinem Rücken schien ihm überhaupt nichts auszumachen, obwohl sie schon stundenlang unterwegs waren und Raven in der Nacht zuvor in der Schlacht gekämpft hatte. Ein schlechtes Gewissen überkam sie, aber sie schob es rasch beiseite. Ein kaltherziger Mann wie Raven verdiente kein Mitleid, nur Verachtung!
Als die Sonne zu sinken begann und es im Wald düster wurde, hielt Raven an und Kara rutschte von seinem Rücken herunter. Unter dem dichten Blätterdach einer alten Esche ließ er sie in der Aufsicht des Raben zurück und verschwand zwischen den Bäumen, um nach Essbarem zu suchen.
Kara sank auf den Boden und lehnte sich gegen den rauen Stamm. Obwohl sie seit Stunden getragen worden war, fühlte sie sich vollkommen erschöpft. Wie Raven überhaupt noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte, war ihr vollkommen schleierhaft. Brauchte dieser Mann denn gar keine Erholung? Diese Strapazen konnten unmöglich spurlos an ihm vorübergehen!
Vielleicht verfiel er ja heute Nacht in einen tiefen Schlaf, überlegte sie. Während er selig träumte, würde sie sich unbemerkt davonschleichen. Und der Rabe? Ihres Wissens nach flogen Vögel in der Dunkelheit nicht, doch bei dieser Kreatur war sie nicht sicher. Trotzdem musste sie die Flucht wagen – sie hatte gar keine andere Wahl.
Raven kehrte zurück, und nach einem kargen Nachtmahl aus Beeren und Nüssen zog Kara ihren Umhang eng um sich und rollte sich am Fuße der Esche zusammen. Damit sie ihren Fluchtplan umsetzen konnte, durfte sie nicht einschlafen. Selbst wenn sie hätte schlafen wollen: Ihr Hunger und die Kälte, die an ihr hochkroch und sie mit eisigen Klauen zu umfassen schien, hielten sie wach. Es war Herbst, und bald würde der erste Nachtfrost kommen. Ihre Zähne begannen zu klappern und sie stellte sich vor, in einem Badezuber mit heißem Wasser zu liegen. Leider half es nichts, ihr Körper glich einem Eiszapfen.
Hasserfüllt sah sie hinüber zu Raven, der für ihre missliche Lage verantwortlich war. Er saß ein paar Schritte von ihr entfernt, der Rabe thronte auf seiner Schulter. Die Lederschiene, die seinen lahmen Arm stützte, hatte er abgenommen. Nun massierte er schon seit einer Weile sein Handgelenk und seine Finger. Ob er dort Schmerzen hatte? Pah, was interessierte sie es! Ihretwegen könnte ihm der ganze Arm auch abfallen.
Kara zog den Reiseumhang enger um sich, doch selbst der dicke Stoff vermochte sie nicht zu wärmen. Allerdings musste sie trotz Eiseskälte versuchen zu entspannen, um nachher bei Kräften zu sein. Erneut schielte sie zu Raven hinüber. Er hatte die Armschiene wieder angelegt und sah mit gerunzelter Stirn zu ihr. Eilig senkte sie ihre Lider, gähnte übertrieben laut und drehte sich um, so dass sie mit dem Gesicht zum Baumstamm lag. Er und sein Rabe mussten glauben, sie sei müde und wollte schlafen – morgen früh würden die beiden ein böses Erwachen erleben!
Kara fror. Selbst im dämmrigen Zwielicht des Waldes konnte Raven sehen, wie sie trotz ihres warmen Umhangs zitterte. Gerne hätte er ihr die Übernachtung angenehmer gemacht, aber ein Feuer zu entzünden war zu gefährlich. Zu leicht könnten sie von den Kriegern, die Heron bestimmt ausgesandt hatte, entdeckt werden. Deshalb waren sie heute abseits der großen Straße gegangen, im Wald waren sie weniger leicht zu finden.
Für Kara war das Laufen durch das Unterholz anstrengend gewesen, noch dazu war sie hungrig gewesen. Er hatte eingewilligt, sie zu tragen, obwohl er sicher gewesen war, sie hätte noch eine Zeitlang selbst gehen können. Seinem Arm hatte er mit der schweren Last keinen Gefallen getan. Karas Gewicht hatte auf die Schiene gedrückt und nun fühlten sich seine Finger trotz der langen Massage unangenehm taub an.
Vielleicht sollte er die Schmerzen als Buße ansehen. Aus Karas Blickwinkel benahm er sich wirklich wie ein seelenloser Söldner. Dabei wollte er nichts anderes als ein besseres Leben führen – ohne die Dunkelheit des Bergwerks und die Aussicht auf einen frühen Tod nach bitterer Krankheit. Ein Leben, das seine Mutter und er sich nach den Jahren der Entbehrung und des Spotts verdient hatten. War das wirklich zu viel verlangt?
Auf Karas Verständnis durfte er wohl nicht hoffen. Zu groß war die Schuld, die er ihrer Ansicht nach
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