Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
vor wie ein Kind: hilflos und schwach.
Der Rabe stieß eine Folge hoher Töne aus und wackelte dabei mit dem Kopf. Das sah drollig aus, aber ihr war ganz und gar nicht nach Lachen zumute. Der große Vogel trippelte näher und sie rutschte unwillkürlich nach hinten. Wollte er sie erneut attackieren? An ihren Füßen blieb der Rabe stehen und begann, sein weiches Gefieder an ihrem Bein zu reiben. Kara stutzte. Er wirkte fast wie eine Katze, die ein paar Streicheleinheiten einfordern wollte.
»Lass das«, erklärte sie unwirsch. »Ich lege keinen Wert auf deine Annäherungsversuche, genauso wenig wie auf die deines Herrn.«
Der Rabe hielt inne und gab einen Ton von sich, der fast wie ein Seufzen klang. Es schien, als hätte er sie aufs Wort verstanden. Das konnte doch nicht sein, er war bloß ein Tier. Oder wurde sie langsam verrückt?
Der Vogel breitete er seine Flügel aus und flog hinauf auf einen Ast. Kara fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und besann sich wieder auf ihr grundlegendes Problem. Sie brauchte dringend einen neuen Plan für ihre Flucht – nur welchen?
Wenige Zeit später waren sie wieder unterwegs. Schon nach wenigen Schritten schmerzten ihre Füße und ihr Magen knurrte vernehmlich. Das Frühstück hatte seinen Namen nicht verdient und sie nur noch hungriger gemacht, wenn das überhaupt noch möglich war. Der Rabe saß wie am gestrigen Tag auf ihrer Schulter, wiederholte seine Zutraulichkeiten vom Morgen jedoch nicht. Auch Raven hatte seit dem Aufstehen kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Ob das ein Trick war, ihre Widerstandskraft zu brechen? Nun, dann könnte er für alle Ewigkeit schweigen, denn sie legte keinen Wert auf eine Unterhaltung mit ihm. Es kamen sowieso nur Lügen aus seinem Mund!
Allerdings wäre es schön, wenn er ihr den Trinkschlauch geben würde, denn sie hatte Durst. Gerade als sie ihn danach fragen wollte, stieß sich der Rabe von ihrer Schulter ab und flog zwischen den Bäumen hindurch fort.
»Oh, dein treuer Freund verlässt dich«, erklärte sie spitz. »Schaffst du es, alleine auf mich aufzupassen?«
»Im Notfall werfe ich dich über meine Schulter«, knurrte er, trotzdem entging Kara sein besorgter Blick nicht.
»Sind uns Herons Krieger auf der Spur?« Das war das Einzige, was noch schlimmer war, als mit Raven unterwegs zu sein.
Statt einer Antwort legte er den Finger an seinen Mund und lauschte.
Jetzt vernahm auch Kara die Laute. »Da ruft ein Mann um Hilfe«, stellte sie fest und wandte sich in die Richtung, aus der die Schreie kamen. »Wir müssen hingehen und nachsehen.«
»Das werden wir nicht!« Er packte sie am Arm und hielt sie fest. »Dafür haben wir keine Zeit, außerdem könnte es eine Falle sein.«
»Nicht jeder ist so hinterhältig wie du, Raven«, schnaubte sie.
Mit zusammengezogenen Brauen sah er sie an, dann ließ er sie los und nickte. »Folge mir.«
Erleichtert ging Kara ihm hinterher. Sie würde alles tun, um den Unbekannten zu retten – denn vielleicht konnte dieser anschließend sie retten.
Sie mussten nicht lange laufen, bis sie den Mann entdeckten. Er war an einen Baum gefesselt, der sich unweit eines schmalen Karrenwegs befand. Im Schutz einer hohen Hecke blieben sie stehen und Raven sah sich um. Da er scheinbar nichts Verdächtiges feststellen konnte, näherten sie sich dem Gefangenen.
Kaum entdeckte der Mann ihr Kommen, verwandelten sich seine Hilferufe in Jubelschreie. »Die Göttin sei gepriesen!«, rief er. »Ihr seid meine Rettung.«
Eine Armlänge vom Baum entfernt blieb Raven stehen und sah den Gefesselten misstrauisch an. »Wer bist du?«
»Mein Name ist Jorin«, erklärte der Fremde und neigte den Kopf. »Sänger, Flötenspieler und Geschichtenerzähler.«
»Ein Barde!«, freute sich Kara und betrachtete den Mann interessiert. Er war schmächtig, und seine grauen Haare, die ihm offen auf die Schultern hingen, lichteten sich bereits. Seine Stimme hingegen war kräftig und volltönend, und seine Augen leuchteten in einem tiefen Schwarz, wie sie es noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte.
Jorin lächelte sie an. »Wenn ihr mich aus dieser Notlage befreit, werde ich eure Güte in einem meiner Lieder erwähnen, edle Dame.«
»Verrate uns lieber, warum du an den Baum gebunden wurdest«, entgegnete Raven harsch.
»Ich wurde überfallen und ausgeraubt. All mein Geld haben mir diese Strolche gestohlen, und als wäre das nicht genug, haben sie mich an diesen Baum gefesselt.« Der Tonfall des Barden wurde
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