Rabenherz & Elsternseele
Besprechung.
Inzwischen war es Mittag, und ich machte mir lustlos etwas zu essen. Danach erreichte ich Mama endlich. Schon als sie sich mit ihrer energischen Bürostimme meldete, hatte ich das Gefühl, dass es keine gute Idee war, ihr am Telefon von meinem Problem zu berichten. Aber nach Hause würde sie erst am späten Nachmittag kommen, und so lange konnte ich nicht warten.
»Ich muss dir was Dringendes erzählen«, fing ich an.
»Natürlich, mein Schatz«, sagte sie, aber ich hörte, wie sie dann die Hand über die Sprechmuschel legte und irgendwelchen Leuten im Hintergrund noch schnell ein paar Anweisungen gab.
»Du wirst es erst mal nicht glauben, aber du musst mir zuhören. Es ist wirklich wichtig«, sagte ich trotzdem.
Ich bemühte mich, sie vorsichtig auf das vorzubereiten, was ich zu sagen hatte, aber ich kam nicht weit. Schon als ich ganz allgemein erwähnte, dass es Menschen gab, die sich in Vögel verwandeln konnten, flippte sie aus.
»Verdammt, Pia! Musst du ausgerechnet jetzt davon anfangen? Oma hatte mir versprochen, dich mit diesem ganzen Vogelblödsinn in Ruhe zu lassen. Das sind Hirngespinste, verstehst du? Dein Vater hat auch ständig von solchem Zeug gesponnen. Hör mal, ich habe gerade viel zu tun. Wenn ich nach Hause komme, können wir darüber reden, ja? Bis dahin vergiss die Sache. Hattest du für heute nicht eine Einladung zu einer Party oder so? Du könntest doch mal losziehen und dir was Schickes zum Anziehen kaufen. Geld liegt in der Küchenschublade.«
Ich gab ohne Widerstand auf. Wenn sie mir wegen dieses Themas sogar freie Hand zum Klamottenkaufen gab, würde sie auf keinen Fall am Telefon weiter mit mir darüber sprechen. Nicht, dass ich Interesse am Shoppen gehabt hätte. An die Party hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Wenn ich mir überlegte, wie meine Gedanken noch vor ein paar Wochen vermutlich um so einen Abend gekreist wären, war das schon bemerkenswert. Jetzt rasten meine Gedanken, um eine Möglichkeit zu finden, wie ich die Vögel aus von Meutingers Turm befreien konnte. Um mich zu beruhigen, machte ich mir einen heißen Kakao und nahm ihn mit in mein Hochbett. Dort saß ich im Schneidersitz, starrte in das trübe Wetter hinaus und grübelte, bis mein Handy eine SMS meldete.
Verdammt. RuDi heut Abend an. Pass auf dich auf. Strx.
Ich war mir noch nicht klar darüber, ob ich zurückschreiben wollte, da rumste etwas gegen mein Fenster und ich verschüttete vor Schreck ein bisschen Kakao auf mein Bettzeug. Mein erster Gedanke war, dass Jori die Flucht gelungen war und sie es als Habicht bis zu mir geschafft hatte.
Doch der Vogel, der benommen auf meiner Fensterbank saß, war kein Habicht, sondern eine Elster. Ihre schwarzen Federn schillerten bläulich. Um sie nicht zu verscheuchen, stieg ich langsam vom Hochbett und näherte mich dem Fenster, ohne hastige Bewegungen zu machen. Der Vogel sah mich und tat das Gegenteil von dem, was ich erwartete. Anstatt zu fliehen, schlug er mit den Flügeln und pickte wütend gegen die Glasscheibe. Verblüfft stand ich ihm gegenüber und beobachtete ihn. Er verhielt sich, als würde er in der Scheibe einen Feind entdecken, den er mit Hacken und Toben verscheuchen wollte. Vorsichtig stellte ich das Fenster auf Kipp, weil ich dachte, dass das Spiegelbild oder was auch immer er da sah, dann vielleicht verschwinden würde.
Er ließ sich jedoch nicht davon abbringen, gegen die Scheibe zu kämpfen, und stieß dabei eine ganze Reihe von erbosten Kecker- und Pfeiflauten aus. Ich machte mir Sorgen, dass er sich am Ende verletzen würde, wenn er so weitermachte. »Lass das!«, sagte ich laut. Er erstarrte und äugte zu mir herein. »Lass das, du tust dir weh«, sagte ich noch einmal.
»Hallo. Komm rein«, antwortete die Elster mir laut und deutlich mit einer männlich klingenden Stimme. »Hallo. Komm rein. Hallo. Komm rein. Hallo. Komm rein.«
Nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, wunderte ich mich nicht mehr. Vermutlich hatte hier ein weiterer Vogelmensch den Weg zu mir gefunden. Sofort öffnete ich das Fenster ganz und ließ die hübsche Elster herein.
»Guten Tag. Wer bist du denn?«, fragte ich.
Die Elster lief ein Mal auf meinem Teppich im Kreis, hackte nach dem silbernen Fuß meiner Stehlampe, trippelte etwas verwirrt wirkend hierhin und dorthin, nahm eine Erdnussschale in den Schnabel, die neben dem Papierkorb gelegen hatte und ließ sie wieder fallen. »Hallo. Komm rein«, wiederholte sie und quietschte wie eine
Weitere Kostenlose Bücher