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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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inzwischen schon die Fessel des zweiten Habichts vornahm, der wahrscheinlich Joris Mutter war. Leider war bei ihr schon der erste Knoten so festgezogen, dass ich ihn nicht lösen konnte. Ärgerlich ließ ich davon ab und schnappte mir stattdessen das Geschüh, das Bubo von Joris Füßen abgemacht hatte. Als ich es oben durch den Spalt stopfen wollte, klappte auch das nicht gleich, weil die Riemen länger waren als die vorherigen. Ich musste mich selbst nach oben durchzwängen und sie hinter mir herziehen, wobei wieder meine Federn litten, die ich nun dringend putzen musste. Müde und hungrig fühlte ich mich allmählich auch. Die schönen Erdnüsse! Hätte ich sie doch bloß … Gierig sah ich mich um. Hatten die Tauben vielleicht etwas Fressbares angeschleppt, das ich mir nehmen konnte?
    Unten schlug mit einem lauten Rums die Turmtür zu. Jemand war hereingekommen. Auwei.
    War es der böse Falkner oder seine Schwester, die die Turmtür hinter sich zugemacht hatten? Eilig schlüpfte ich nach unten und sah gerade noch, wie eine splitternackte Jori ausholte und den splitternackten Bubo ohrfeigte. Das Keckern blieb mir in der Kehle stecken. Jeden Moment würde die Befreiungsaktion entdeckt werden. Hatten die denn gerade nichts Besseres zu tun, als sich zu zanken? Mit einem kurzen, schrillen Pfiff warnte ich sie, doch nun erkannten sie die Gefahr bereits selbst, denn von Meutinger erschien auf der Treppe. Bubo packte Jori am Arm, stolperte mit ihr hastig die Stufen zu mir ins obere Vogelstockwerk hinauf und knallte die Klapptür zu, bevor der Falkner überhaupt begriffen hatte, was vor sich ging.
    »He! Sofort aufmachen!«, hörten wir ihn gleich darauf brüllen, als er die Treppe emporstürmte.
    Jori schob den Riegel der Klappe zu, und Bubo setzte sich zusätzlich darauf. Von Meutinger hämmerte von unten gegen das Holz und brüllte weiter: »Aufmachen!«, während Jori zurückwich, auf den Boden sank und sich dort zusammenrollte wie ein Igel, den Kopf in den Armen verborgen. »Mama«, sagte sie, es klang wie ein leises Schluchzen.
    Jetzt erst sah ich, dass sie gar nicht völlig nackt war. Ihr Rücken war noch voller Federn. Einige schöne lange Stoßfedern bedeckten einen Teil ihres Pos, doch sie schrumpften und verschwanden bereits.
    Nun konnte ich mir ein kurzes Keckern doch nicht verkneifen. Nackte Würmer, die beiden. Und echt in der Klemme.
    Als Jori mein Keckern hörte, fuhr ihr Kopf hoch, und sie warf mir einen Habichtsblick zu, der mich beinah lebend gegrillt hätte. Zur Sicherheit flog ich auf und setzte mich auf meinen praktischen Wandbalken, ließ aber demonstrativ einen Klecks in ihre Richtung auf den Boden platschen, um ihr zu zeigen, was ich von ihrer Meinung über Elstern hielt.
    »Lass sie in Ruhe. Sie hat uns befreit. Überleg lieber, was wir jetzt machen«, sagte Bubo zu Jori. Wenigstens einer mit Verstand! Ich sah mir den Knaben genauer an. Er war entschieden schmächtiger als Strix, hatte kurze braune Haare und dunkle Augen. Auch wenn er jetzt keine Brille trug, sah sein Gesicht aus, als würde eine hineingehören. Er wirkte wie der unsportliche Schlaue, ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Allerdings hatte ich ihn mir ohnehin nur mit Kleidung vorgestellt. Ich musste wieder keckern und wippte vor Vergnügen mit dem Schwanz.
    »Schadenfrohes Mistvieh«, sagte Jori. »Von wegen, uns geholfen! Wir sitzen doch total fest.«
    Vermutlich wollte von Meutinger mitbekommen, worüber Bubo und Jori sich unterhielten, denn er hörte auf zu schimpfen und gegen die Luke zu hauen. Ich konnte mir vorstellen, wie sein Verstand fieberhaft arbeitete, um eine Lösung für sein Problem zu finden. Ihm musste ja klar sein, dass die Flüchtlinge nur ans vergitterte Fenster gehen mussten und ordentlich Lärm schlagen, auch wenn die beiden Dödel selbst noch nicht darauf gekommen waren. Die Hakenschnabelhirne mussten sich wohl erst mal wieder zu normaler Größe entfalten, bevor sie wieder nachdenken konnten.
    »Geh ans Fenster und ruf um Hilfe«, sagte Bubo. Aha, Entfaltung abgeschlossen.
    »Guck weg«, fauchte Jori ihn an und stand auf. Ich konnte es ihr nachfühlen, musste aber trotzdem wieder keckern.
    Rums, schlug von Meutinger gegen die Klappe. »Wenn ihr schreit, drehe ich dem anderen Habicht hier unten den Hals um«, sagte er.
    Mich überlief ein eisiger Schauder, ich schüttelte mein Gefieder. Jori blieb auf halbem Weg zum Fenster stehen und drehte sich langsam zu Bubo um. Ihre Augen waren groß und

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