Rabenherz & Elsternseele
hätte, bevor er die Klingel zum zweiten Mal drückte. Dann startete ich den zweiten Angriffsflug auf den Knopf, diesmal musste ich mehrere Male zielen, aber dann: »Ding dang dong.« Ich konnte mir nicht verkneifen, es selbst mit meiner wunderbaren Elsternstimme zu probieren. Ding dang dong , machte ich. Klappte sofort. Nicht vor Freude zu keckern kostete mich richtig Anstrengung.
Endlich näherten sich drinnen Schritte, und ich zog mich von der Schwelle auf den nächsten Baum zurück. Hoffentlich wechselten Bubo und Jori jetzt das Stockwerk und verbarrikadierten sich dort zusammen mit Joris Mutter und den anderen Vögeln. Ich hörte von oben Getrampel und Getöse, das meine Hoffnung nährte. Doch gleichzeitig lachte von Meutinger höhnisch auf. Als er die Tür öffnete, sah ich, warum: Er trug Joris Mutter mit Geschüh und Haube auf seinem Falknerhandschuh.
Im ersten Moment wollte ich machen, dass ich wegkam, doch dann versetzte es mich in Wut, wie jämmerlich hilflos der Habicht auf von Meutingers Hand wirkte. Wollten wir doch mal sehen, wie der böse Mann mit einem Vogel zurechtkam, der sich nicht benahm wie ausgestopft, dachte ich. Mit aller Kraft stieß ich mich vom Ast ab, nahm Geschwindigkeit auf und schoss auf von Meutingers Gesicht zu wie eine schwarz-weiße Rakete. Er riss die freie Hand hoch und wehrte mich ab, kam aber ins Straucheln und ließ den Arm mit Joris Mutter darauf etwas sinken. Sie fiel wie ein Stück Holz zu Boden. Das machte mir Mut, und ich stürzte mich vollends in den Kampf, flatterte wie wild, krallte und hackte mit dem Schnabel nach dem Falkner, wo ich konnte, und wechselte immer wieder blitzschnell die Position, damit er mich nicht mit seinen grobklotzigen Händen packen konnte. »Au, verdammt, na warte, du …«, schrie er, als meine Krallen sein Ohr zusammenknautschten und mein harter Schnabel einen Treffer zwischen seine Augen landete. Er schlug nach mir und schleuderte mich von sich, deshalb konnte ich ihn dummerweise nicht schnell genug davon abhalten, sich nach dem Habicht zu bücken. Fast hatte er ihn schon mit der einen Hand erreicht, während er sich mit der anderen gegen mich wehrte, da bekam ich unverhofft Verstärkung. Hallo-komm-rein warf sich mit dem gleichen Feuereifer in den Kampf wie ich. Zu meinem Missfallen musste ich ihm zugestehen, dass er um Längen geschickter flog und härter zuhackte als ich. Jedenfalls verging dem Falkner die Lust, Joris Mutter aufzuheben. Rasch nutzte ich die Ablenkung, ließ mich neben dem Habicht nieder und zerrte ihm die schöne, mit Goldfaden verzierte Haube vom Kopf. Für das Geschüh würde ich keine Zeit haben, aber vielleicht würde das Streifenhuhn schnell genug verstehen, was los war, und sich selbst in Sicherheit bringen.
»Halt!«, schrie von Meutinger, aber es war zu spät. Der Habicht hatte sich schon in die Luft erhoben, wenn auch taumelnd, und flog samt Geschüh davon. Ich sah ihm kurz nach und keckerte freudig, dann wollte ich mich ebenfalls aus dem Staub machen. Im letzten Moment fiel mir ein, dass es viel zu schade war, die hübsche, glitzernde Haube zurückzulassen, und ich drehte mich noch einmal um, gerade als Hallo-komm-rein beschlossen hatte, dass es nun genug war, und sich aus dem Gefecht zurückzog.
Der Falkner war schnell, das musste man ihm lassen. Ich hatte noch gar nicht richtig bemerkt, dass ich in Gefahr war, da hatte er mich schon gepackt und erstickend eng an sich gedrückt. Mit einem dumpfen Rums schloss er die Tür von innen, und ich war mit ihm im Turm gefangen.
Kondorklauen
V
erfluchtes Mistvieh, dir reiße ich jede dreckige Feder einzeln aus. Dich wird niemals jemand wiedersehen, darauf kannst du dich verlassen.«
Von Meutinger stampfte mit mir die Treppe zu seinem Schlafzimmer empor. Ich konnte nur mit einem halben Auge sehen, weil er mit einer gemeinen Grapschhand meinen Kopf umfasst hielt, aber es reichte, um mitzubekommen, dass er zu seinem Nachttisch ging. Es war leicht zu erraten, dass er mir zu gern ein Geschüh und eine Haube verpassen wollte, aber da würde er sich wundern.
Ich spürte, wie von Meutinger anfing zu zittern. War er so wütend, oder hatte er Angst? Er sagte nichts, als er die offene, leere Glitzerkiste auf dem Boden entdeckte, aber er drückte mich fester. So fest, dass ich quiekte, weil ich fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Leider brachte ihn das nicht dazu, lockerer zu lassen. Für eine Weile hatte ich nichts anderes mehr im Kopf als die Angst zu ersticken
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