Rabenherz & Elsternseele
starr vor Angst.
Bubo schaute sie nicht an, sondern blickte auf die Klappe, als könnte er durch das Holz hindurch den Falkner unter sich sehen. »Das wagen Sie nicht. Wenn Sie sie umbringen, wird sie wieder zum Mensch. Und dann kommt heraus, dass Sie ein Mörder sind, dafür sorgen wir.«
Von Meutinger lachte hässlich. »Frag deine Freundin, ob sie es darauf ankommen lassen will. Wisst ihr, ich habe einen Ofen hier im Turm, und es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen toten Vogel darin verbrenne. Das stinkt zwar, aber es bleibt nicht viel von ihnen übrig, wenn das Feuer schön heiß ist.«
Jori schlug sich die Hände vors Gesicht, sank auf den Boden und rollte sich wieder zusammen. Ihre Federn waren noch immer nicht ganz verschwunden.
Sie tat mir leid. Und je mehr sie mir leidtat, desto weniger fühlte ich mich wie eine Elster. All meine Menschensorgen und Menschengedanken traten in den Vordergrund. Was konnte ich tun, um zu helfen? Ich hatte den Turmschlüssel, er lag oben bei den Tauben. Aber was brachte mir der, wenn ich keinen Menschen in der Nähe fand, der verstehen würde, wozu er ihn benutzen sollte? Es fühlte sich nicht so an, als ob ich mich bald zurückverwandeln würde. Wenn bloß Strix da gewesen wäre. Oma zu holen, würde ich nicht schaffen, der Weg war zu weit, und wahrscheinlich war sie ohnehin ihren Vogelfuß noch nicht los.
Ich musste mir selbst etwas einfallen lassen.
Bubo sah mich durchdringend an. »Hol Hilfe! Hörst du: Hol Hilfe!«
Er sprach mir die Worte so deutlich Silbe für Silbe vor, als hielte er mich für ein Kleinkind oder als wollte er mich dazu bringen, sie nachzusprechen. Konnte er haben. Hol Hilfe , sagte ich, aber ganz richtig kam es nicht heraus. Es klang eher wie ein Pfeifen. »Hol Hilfe!« wiederholte er, nun schon ungeduldiger.
Ich versuchte es noch einmal, leider wieder mit wenig Erfolg. Es musste möglich sein, mit meiner Elsternzunge wie ein Mensch zu sprechen, schließlich hatte der andere, mit der Hallo-komm-rein-Macke auch herausgefunden, wie es ging. Pfeifend, zwitschernd und zeternd experimentierte ich, bis Bubos Miene sauer wurde. »Hol Hilfe«, schrie er mich an.
Und dann klappte es plötzlich. »Hol Hilfe«, sagte ich ganz deutlich. Vor Begeisterung wippte ich mit dem Schwanz und sagte es gleich noch fünfmal. Machte das Spaß! »Holhilfe, holhilfe.« Vergnügt hängte ich ein gellendes »Schäckäckäck« dran.
Bubo schlug die Hände vor sein Gesicht und schüttelte den Kopf. Jori dagegen richtete sich auf. »Was erwartest du denn auch von einer bescheuerten Elster? Die veralbern einen doch immer nur.«
Bubo winkte mit der Hand ab und zischte ihr zu. »Schscht! Der unten muss doch nicht alles wissen!« Dann wandte er sich wieder an mich. »Bitte! Du kannst das. Tu was!«
Ich schüttelte mein Gefieder zurecht, schwang mich von meinem Balken und ließ mich vor ihm auf dem Boden nieder. Mir war eine Idee gekommen, aber der Plan würde nur funktionieren, wenn die beiden Hakenschnabelhirne begriffen, was sie zu tun hatten. Ich klopfte betont auffällig mit meinem Schnabel an die Klapptür, stelzte dann auf Bubo zu, berührte seinen Fuß, trippelte einen kleinen Kreis auf der Klappe und wiederholte das Ganze. So, nun müsste eigentlich alles klar sein. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Bedauerlicherweise schien er nichts kapiert zu haben, er sah mich nur verdutzt an. Also noch mal Klopfen, Berühren, kleiner Kreis.
Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich verstehe nur, dass du etwas vorhast«, flüsterte er.
Schicksalsergeben flappte ich ein Mal mit meinen Flügeln, was sich ungefähr so anfühlte wie ein Achselzucken. Dann machte ich mich auf den Weg, flog zu meinem Balken, durch die Lücke zu den Tauben und hinaus, in der Hoffnung, dass es Bubo auf die Sprünge helfen würde, wenn ich einfach loslegte.
Ohne zu zögern, flog ich die Turmtür an. Hatte ich es doch gewusst: Es gab eine Klingel. Entschlossen hieb ich mit dem Schnabel auf den Knopf ein, bis es laut »Ding dang dong« machte, und landete danach auf der Türschwelle. Ich hätte das gern gleich noch mal gemacht, weil es so lustig klang, doch nun galt es vernünftig zu sein.
Eine Familie mit einem kleinen Kind im Buggy schlenderte über den Greifvogelhof und blieb nun stehen, um mich zu beobachten. »Guck doch mal, die Elster! Ob die zahm ist? Ich könnte schwören, dass sie gerade die Klingel gedrückt hat«, sagte der Mann.
Ich wartete geduldig so lange, wie ein Mensch gewartet
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