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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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inzwischen Sturm, und auf einmal war ich mir sicher, dass es jemand war, der mir helfen wollte. Ich hörte, wie von Meutinger endlich nach unten ging. Und ich lag hier in Schnur eingewickelt herum und … Und schließlich war am Menschsein doch auch eine Menge schön. In die Küche zu gehen und sich etwas zu essen zu machen zum Beispiel, und die schlaksigen Beine waren auch nicht so schlimm, immerhin konnte man mit ihnen … Fahrrad fahren, genau! Auf mein geliebtes Rad steigen und zu Oma fahren!
    Die Paketschnur schnitt mir ins Fleisch und zersprang, ich stieß mir schmerzhaft den Kopf und spürte die raue Schrankwand auch an meinen nackten Fußsohlen. Ich rollte mich zusammen und verhielt mich ruhig, damit ich nicht aus Versehen den Falkner auf mich aufmerksam machte. Behutsam machte ich eine Bestandsaufnahme meines Körpers. Menschengroß war ich auf jeden Fall, die Beine und Füße waren in Ordnung. Schlecht sah es mit meinem Gesicht aus. Obwohl sich auch das Klebeband gelöst hatte, war es eindeutig ein Schnabel und keine Nase, was da herausragte. Das war zwar unangenehm, würde mich bei meiner Flucht aber nicht so sehr behindern wie die Flügel. Denn fliegen würde ich damit wohl nicht können, auch wenn sie nun übergroß waren. Die Hände würden mir fehlen. Nichts war praktischer als menschliche Hände, man konnte unendlich viel damit anfangen.
    Ich spürte, wie die Schwungfedern an meinen Armen schrumpften und meine Knochen sich veränderten. Es war schmerzhaft, und mir fiel ein, was Oma gesagt hatte: Je leichter du es nimmst, desto weniger unangenehm ist es. Nun, da ich ohnehin in diesem Zustand nicht mehr fliegen konnte, fiel es mir immer leichter, mir meinen menschlichen Körper mit all seinen Stärken und Schwächen zurückzuwünschen. Arme waren gut, um jemanden zu umarmen, der einem gefehlt hatte, und gut, um Schranktüren zu öffnen. Ein Mund war gut zum Sprechen, besser als die Elsternkehle.
    Nach und nach begrüßte ich auf diese Art meine menschlichen Körperteile, und es klappte wunderbar. Der Schmerz ließ nach. Als ich mich vorsichtig mit meiner noch etwas steifen Hand abtastete, fühlte ich nur hier und da noch einige Flaumfedern. Was mich darauf brachte, dass auch ich peinlicherweise jetzt nackt war. Aufmerksam lauschte ich, doch von Meutinger schien noch unten zu sein. Daher richtete ich mich auf und zog eins der dort hängenden Oberhemden vom Kleiderbügel. Anziehen konnte ich es in dem engen Schrank nicht, aber wenigstens hatte ich es griffbereit.
    Es war merkwürdig still, auch das Klingeln hatte aufgehört. Hatte von Meutinger die Tür geöffnet? War er nun beschäftigt? Ich hielt es nicht mehr aus und drückte ein klein wenig gegen die Schranktür. Nur einen winzigen Spalt schob ich sie auf, da quietschte sie schon. Hastig zog ich die Hand zurück. Viel hatte es nicht gebracht, aber immerhin hörte ich nun besser, was im Turm vor sich ging. Der Falkner lief mit eiligen Schritten im Erdgeschoss umher, kramte irgendwo herum, klapperte mit etwas, das Schlüssel sein konnten, knallte mit Türen. Würde er es hören, wenn ich aus dem Schrank kroch? Aber wohin dann?
    Es lohnte sich nicht, weiter darüber nachzudenken, denn von Meutinger kam wieder herauf. Er trug eine Axt und ein paar Seile bei sich und ging ohne Umweg zum Angriff auf die Klapptür über, die ihn von Bubo und Jori trennte. Mit einem gewaltigen Krachen schlug er die Axt ins Holz.
    Erschrocken lehnte ich mich vor, um besser sehen zu können, und stieß dabei gegen die Schranktür, die sich quietschend weiter öffnete. Es war mein Glück, dass von Meutinger solchen Lärm verursachte, dass er das Quietschen nicht hören konnte. Ich nutzte die Gelegenheit, um mir das riesige Oberhemd anzuziehen. Es reichte mir bis zu den Knien und war rot-grün-kariert. Normalerweise hätte ich es nicht einmal mit spitzen Fingern angefasst. Jetzt war ich froh, dass ich wenigstens nicht splitternackt sein würde, wenn ich gleich vor dem miesen Falkner flüchtete. Mein Plan war, nach unten und aus der Turmtür zu stürmen, dort Alarm zu schlagen und zu Bubo und Jori hinaufzubrüllen, dass sie sich auf keinen Fall ergeben sollten, weil von Meutinger gar keine Geisel mehr hatte.
    Er hämmerte gegen die Klapptür wie ein Besessener. Es schien nicht ganz einfach zu sein, von unten mit der Axt etwas zu bewirken, so wie er schnaufte. Immerhin war er so konzentriert auf sein Vorhaben, dass ich eine gute Chance hatte, zumindest unbemerkt bis zur Treppe

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