Rabenherz & Elsternseele
Schnabel die Schlüssel aus der Hand und flog eilig voraus zur Turmtür. Er lief mir nach, und ich ließ ihm die Schlüssel wieder vor die Füße fallen. Gesegnet seien Leute mit Vogelverstand, er wusste sofort, was ich wollte, und beeilte sich, während ich ihn mit einem strengen »Schäckäck« anfeuerte.
Im Nu waren wir im zweiten Stockwerk des Turms und standen hinter von Meutinger, der auf einer Treppenstufe schwankte und durch das Loch in der Klapptür ein Tauziehen mit dem Kondor veranstaltete – mit seinem Arm als Tau. Er war so damit beschäftigt, dass er uns nicht bemerkte.
Neben ihm auf der Treppe lagen die Seile, mit denen er vermutlich Bubo und Jori hatte fesseln wollen, bis er Zeit fand, sie zu verwandeln.
Ich musste Strix keinen Tipp geben. Er schnappte sich zwei Seile und machte in eines davon flink eine Schlaufe, in das andere eine Schlinge. So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie er damit um die Füße des Falkners eine Schlinge gelegt und sie mit einem Ruck zugezogen hatte. Rasch wickelte er ihm das Seil noch einige Male um die Beine und machte einen Knoten. Von Meutinger verlor das Gleichgewicht und ruderte schreiend mit seinem freien Arm, fiel aber nicht, weil der Kondor ihn weiterhin festhielt.
Strix fing mit der Schlinge des zweiten Seils von Meutingers wedelnde Hand ein, schlang es ihm blitzschnell um die Taille und zog mit seinem ganzen Gewicht, bis der Falkner den Arm nicht mehr bewegen konnte. Noch einige Umwicklungen mit dem Seil, und er hing völlig hilflos mehr in den Klauen des Kondors, als dass er auf der Treppe stand. Seine Lage schien ihn endlich sprachlos gemacht zu haben, er stöhnte nur noch.
Obwohl mir allmählich vor Müdigkeit richtig schwindlig wurde, keckerte ich zufrieden und hängte triumphierend ein besonders schön klingendes »Diing dang doong« dran.
Strix sah mich an und schüttelte den Kopf. »Na, du bist gut. So ganz gelöst haben wir dieses Problem ja wohl noch nicht. Was machen wir denn jetzt?«
Bei allem guten Willen fühlte ich mich dafür so langsam nicht mehr zuständig. Ich wollte mir lieber einen Platz suchen, wo ich mal für eine Weile den Kopf ins Gefieder stecken und ausruhen konnte. Vielleicht vorher noch nachsehen, wie viele Erdnüsse in dieser Schale auf dem Wohnzimmertisch waren. Mit einem genervten kleinen Pfeifen zog ich mich auf den Bettpfosten zurück und ordnete mein Brustgefieder.
»Hallo? Hallo Strix, bist du das da unten?« Das war Bubos Stimme von oben, etwas zaghaft.
Strix’ Gesicht leuchtete auf. »Bubo? Ja, ich bin’s. Wie geht es dir? Alles in Ordnung?«
Bubo räusperte sich. »Klar. Ich stecke hier oben mit einer nackten menschlichen Harpyie 2 und einem etwa drei Meter großen, freilaufenden Kondor fest. Selbst habe ich auch nichts an. Aber sonst geht’s mir prima. Kannst du jetzt endlich etwas tun, um mich hier rauszuholen?«
Strix lachte. »Hält der Kondor den Falkner fest? Ich habe ihn hier unten einigermaßen eingewickelt. Fehlt nur noch die Hand da oben, dann könnten wir ihn vielleicht …«
Von Meutinger stöhnte laut. »Er soll loslassen. Bitte. Meine Hand.«
Er konnte einem schon fast wieder leidtun. Ich wusste, was zu tun war, aber ich konnte nicht mehr, sondern ließ mich nach hinten auf das Bett fallen. Zwei Tage durchschlafen wollte ich. Und auch wenn das Bett dem Ekel gehörte, war es weich und bequem.
»Ääh, Pia?«
Mit Mühe öffnete ich die Augen. Strix stand vor dem Bett, tomatenrot im Gesicht. »Hm?«, fragte ich.
»Du kannst hier doch nicht schlafen. Wir müssen zuerst diesen Falkner ruhigstellen und die anderen da oben herausholen. Außerdem …« Er sah zur Seite und räusperte sich. »Außerdem bist du nackt.«
Also, das war mir gerade total egal. »Hast du was zu essen? Erdnüsse?«, murmelte ich.
Er sah mich wieder an, und nun lachten seine Augen. »Du bist süß, weißt du das? Könntest du jetzt trotzdem bitte aufstehen?«
Erdnüsse wären mir lieber gewesen, aber das war auch nicht schlecht. Wann hatte mich zum letzten Mal jemand »süß« genannt? Noch dazu jemand, den ich so … so nett fand.
Seufzend stand ich auf und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Meine Arme und Beine schienen Tonnen zu wiegen, jede Bewegung war höllisch anstrengend.
Als Erstes machte ich den Schrank auf und nahm eine beliebige Handvoll Hemden von ihren Bügeln. Eines davon zog ich an, die anderen drückte ich Strix in die Hand.
Er lächelte. »Kluges Mädchen.«
Ich lächelte kurz zurück
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