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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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mir den Anblick eines schadenfrohen Habichts zu ersparen, sah ich nicht noch einmal zu Jori hoch, bevor ich ins Haus ging.
    Nachdem ich Mama in der Küche bei Kakao und Kaffee die ganze Geschichte fast wahrheitsgetreu erzählt hatte, wusste sie nicht, ob sie schockierter darüber sein sollte, dass mein Rad weg war, oder darüber, dass ich nicht gleich damit zu ihr gekommen war.
    Immerhin verstand sie, warum ich nicht zur Polizei gegangen war. Was nicht hieß, dass sie es richtig fand. »Wenn du den Diebstahl bei der Polizei anzeigst, musst du doch nicht sagen, dass Strix das Rad hatte.«
    »Soll ich etwa lügen, wenn sie mich fragen?«, erkundigte ich mich.
    Sie zögerte, dann tätschelte sie mir seufzend die Hand. »Nein, natürlich nicht. Lassen wir die Polizei vorerst heraus. Aber wir sollten wenigstens Zettel in der Stadt aufhängen. Irgendetwas müssen wir unternehmen.«
    Noch am selben Abend kurvten wir mit dem Auto durch die Straßen und klebten massenhaft »Suche-gestohlenes-Fahrrad«-Zettel an Laternenpfähle, Stromkästen und Zigarettenautomaten. Auch Papa wurde eingeweiht und eingespannt. Er verkniff es sich zu meckern, was eindeutig Mamas Einfluss zu verdanken war, denn ich sah ihm an, dass er nicht viel von unserer Strategie hielt.
    Als wir müde zurückkehrten, war es bereits dunkel. Jori saß immer noch – oder wieder – in der Kastanie und schlief.
    Obwohl es sich als gut herausgestellt hatte, Mama die Wahrheit über mein Fahrrad zu erzählen, erklärte ich ihr lieber nicht, was hinter unserem geplanten Ausflug ins Historicum steckte. Aber ich erwähnte das Museum und prompt bot sie an, uns alle vier am Abend dort abzuholen, damit wir nicht mit dem Bus zurückfahren mussten.
    Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, erwartete ich, dass Jori sich wieder verwandelt haben würde. Stattdessen erwischte ich sie dabei, wie sie über dem Nachbarsgarten einen Sperling schlug. Eigentlich hätte mich das nicht überraschen sollen, weil ich wusste, dass sie jagte. Und ich wusste auch, wie lecker viele kleine Tiere aussahen, wenn man sie durch Greifvogel- oder Elsternaugen betrachtete. Trotzdem war ich ein wenig erschrocken und schauderte vor Ekel, als ich Jori im Baum landen und den Spatzen verspeisen sah. Hatte sie völlig vergessen, dass sie ein Mensch war? Dann würde sie wohl auch nicht mehr wissen, dass wir bald eine Verabredung hatten.
    Widerwillig näherte ich mich der Birkengruppe auf dem Nachbargrundstück, wo sie sich niedergelassen hatte. »Jori«, rief ich und hielt ihr wieder meinen jackengeschützten Arm hin. Sie sah mich kurz an und widmete sich dann wieder dem kleinen Rest ihrer Leckerei. Ich rief sie noch ein paarmal, sie beachtete mich jedoch nicht. Offenbar interessierte sie sich nur für Futter. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich um mein eigenes Futter kümmern musste, wenn ich den Bus zum Historicum nicht hungrig besteigen wollte.
    Als ich in der Küche stand und den Kühlschrankinhalt untersuchte, fiel mein Blick auf eine Tüte mit ungebratenen Schnitzeln. Kurzentschlossen schnitt ich ein Stück davon ab, besorgte mir im Keller einen Arbeitshandschuh für die linke Hand und ging wieder nach draußen. Einen Moment später hatte ich den Beweis dafür, dass Habichte, so wie die meisten Greifvögel, ein ausgezeichnetes Sehvermögen besaßen. Ich musste kaum rufen, da saß Jori schon auf meiner Hand und rupfte so gierig an dem Schnitzelstück herum, dass ich lachen musste.
    »Was ist mit unserer Verabredung, Vogelhirn? Willst du als Kükenschreck mitkommen, oder verwandelst du dich vorher noch zurück?«
    Sie sah mich mit schiefgelegtem Kopf an, als würde sie zuhören, gab mir aber kein Zeichen. Mit einem eleganten Flügelschlag ließ sie sich von meiner Hand fallen, um sich kurz vor dem Boden wieder emporzuschwingen und ihren Platz in der Kastanie anzusteuern.
    Nun gut. Ich hatte mein Bestes getan. Gelohnt hatte es sich auf jeden Fall, denn nun hatte ich mir das Streifenhuhn einmal in Ruhe aus der Nähe ansehen können. Sie hatte ein paar besonders helle Schwungfedern, die goldfarben aussahen, ähnlich wie die dunkelblonden Haare, die sie als Mensch hatte. Bestimmt würde ich sie nun nicht mehr mit einem anderen Habicht verwechseln.

Hühnerschreck
    W
ie verabredet stiegen Bubo und Strix an der Queckenberger Haltestelle in denselben Bus wie ich.
    »Was ist mit Jori?«, wollte Bubo wissen. Strix sagte nur »Hallo«, ohne zu lächeln, was mir langsam an die Nieren ging.

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