Rabenherz & Elsternseele
die Sache lohnt.«
Strix klatschte zufrieden beide Handflächen auf die Tischplatte. »Dann rufe ich mal Bubo an. Wann und wo können wir uns treffen?«
»Gleich morgen in Omas Garten«, sagte ich.
Und weil ich an diesem Tag so besonders froh war, dass es Strix gab und wir uns wieder vertrugen, fiel mir der Totenkopfring ein. Jori sollte nicht dabei sein, wenn ich ihn Strix schenkte, daher wartete ich, bis wir uns im Garten bei den Fahrrädern verabschiedeten.
»Guck mal, für dich. Er lag in Leanders Nest. Ich glaube nicht, dass man den Besitzer finden kann«, meinte ich und überreichte ihm den Ring. Ich hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, die Sonne brachte ihn zum Funkeln.
»Wow. Der ist cool«, sagte er. Weiter kam er nicht, bevor in den Ästen der Kastanie ein krächzendes Spektakel ausbrach. Für einen Augenblick dachte ich, Leander hätte den Ring gesehen und wäre sauer, dass ich ihn verschenke. Doch der Radaubruder war größer als eine Elster. Seit Tagen hatte ich nicht an den Kolkraben gedacht, nun hockte er schräg über uns und regte sich schrecklich auf. Leander saß etliche Äste entfernt über ihm und beäugte ihn nur.
»Was hat der denn?«, fragte Strix, den Ring in seiner geschlossenen Faust.
Der Rabe stieß sich von seinem Ast ab und setzte zum Angriff an. Wie ein Pfeil kam er auf Strix zu, doch als wir beide schützend die Arme über unsere Köpfe hielten, drehte er ab.
»Na, so ein Mistvieh!«, schimpfte Strix, während wir dem davonfliegenden finsteren Knaben erschrocken hinterherblickten.
Ich nickte. »Scheint uns nicht zu mögen. Ob das derselbe ist, den ich in letzter Zeit öfter gesehen habe? Oder gibt es plötzlich eine Rabenkolonie in der Stadt?«
»Fragen über Fragen. Aber weißt du was? Jetzt ist erst mal was anderes wichtiger.« Er zeigte auf den Ring in seiner Handfläche und grinste breit. »Danke!« Und ehe ich etwas ahnte, hatte er mich schon geküsst. Auf die Lippen. Wow. Mein erster Kuss. Ich bekam heiße Ohren und fürchtete, nur noch ein Krächzen herausbringen zu können. Oder vielleicht ein Ding Dang Dong. Räuspern und Husten würde auch nicht helfen, deshalb verkniff ich es mir und riss mich zusammen. »Freut mich, dass er dir gefällt.«
»Na klar gefällt er mir. Kommt doch von dir«, sagte er. Und dann war er weg: ein Kometenschweif am Ende unserer Straße. Ich ging ins Haus zurück, als liefe ich auf Wolken.
Leider hatte ich kaum die Tür hinter mir geschlossen, da war auch schon Schluss damit. Mama empfing mich mit dem Telefon in der Hand und einem kummervollen Gesicht. »Schlechte Nachrichten, Pia. Es hat bei Omas Operation Komplikationen gegeben. Sie liegt jetzt im Koma. Die Ärzte meinen, dass sie uns erst in einigen Tagen mehr sagen können.«
Sie redete noch weiter und versuchte mir zu erklären, was passiert war, aber ich war zu entsetzt, um zuhören zu können. Am liebsten wäre ich sofort ins Krankenhaus gefahren und hätte mich an Omas Bett gesetzt, bis sie wieder aufwachte, doch Mama meinte, das wäre sinnlos.
Also verbrachten wir einen blöden Abend vor dem Fernseher, und ich ging niedergeschlagen ins Bett.
Wir hatten uns für den nächsten Tag erst um die Mittagszeit verabredet, damit wir ausschlafen konnten. Statt auszuschlafen, wachte ich noch früher auf als zur Schulzeit. Um mich abzulenken, bereitete ich leise das Frühstück vor und holte die Zeitung aus dem Briefkasten. Sonst las ich sie nie, aber nachdem ich mich für die Hausaufgabe in Gesellschaftslehre ganz gut dabei amüsiert hatte, schlug ich sie an diesem Morgen wieder auf. Ich las einen Artikel über den Umbau der Sporthalle, blätterte weiter und landete auf der Seite mit den Leserbriefen.
»Rabenvogelplage« war der erste Brief überschrieben. Mich ergriff eine böse Ahnung.
Rabenvogelplage
Nachdem ich mich in den letzten Wochen zunehmend über einen Schwarm Krähen geärgert habe, der in meiner Nachbarschaft alle Singvögel in Angst und Schrecken versetzt, lärmt und die unter den entsprechenden Bäumen abgestellten Autos vollkotet, möchte ich dem Verfasser ihres Artikels von Herzen zustimmen. Meiner Ansicht nach herrscht eine schlimme Überbevölkerung dieser ekelhaften Tiere. Sie sollten unbedingt zum Abschuss freigegeben und auf eine vernünftige Anzahl begrenzt werden.
Wolfgang Reinlich
Bravo an den Verfasser des Rabenvogel-Beitrags in Ihrer Zeitung. Endlich wagt einmal jemand auszusprechen, was so viele Gartenbesitzer und Naturfreunde denken: Die
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