Rabenmond - Der magische Bund
die Gilden plötzlich in einem ganz anderen Licht. Ihre Intelligenz war ebenso groß wie ihre emotionale Unvernunft.
Unvernunft... alles in ihm zog sich zusammen und wurde heiß und kalt, als er sich an den Augenblick erinnerte, als ihre Lippen sich berührt hatten. Ihm war, als seien Faunias menschliche Gefühle in dem Moment zu ihm übergesprungen. Ob das möglich war? Nein, natürlich nicht. Aber er wusste auch nicht, wie er sonst das schwindelerregende Flattern erklären sollte, wenn er an sie dachte. »Was sollen wir nun tun?«, rief ein junger, nervös wirkender Drache.
Die Kaiserin wandte sich an den Berater für innere Sicherheit, der sich gemächlich erhob. Scarabah saß neben ihm und reckte sich, als ihr Vater zu sprechen begann.
»Die gestrigen Festnahmen haben uns alle erschüttert«, begann er mit ernster Miene. »Offenbar haben wir den Gilden zu viel Freiheit gelassen; nun erfahren wir auf diese unerfreuliche Art, dass selbst die besten Menschen vom rechten Weg abkommen können.« Er holte tief Luft und verneigte sich vor der kaiserlichen Tribüne. »Um die Unschuld der Menschen zu wahren, sind strengere Kontrollen unumgänglich. Ich weiß, dass unsere Aufmerksamkeit in diesen Tagen vor allem der äußeren Sicherheit und den Menschen in Kossum gilt, doch jene, die uns am nächsten sind, können uns auch den größten Schaden zufügen.
Die Gilden sind gebildet und genießen großzügige Vorrechte. Daran können und sollten wir nichts ändern. Worauf wir allerdings achten müssen, ist, dass die Gilden weiterhin unter keinen Umständen Kontakt zum Ausland aufnehmen. Bis jetzt waren die Gründe für solche Verbrechen hauptsächlich finanzielle; immer wieder gab es den einen oder anderen Handelsmeister, der unangemeldete Geschäfte betrieb. Doch jetzt scheinen die unerlaubten Beziehungen immer öfter politischen Zwecken zu dienen. Statt Rohstoffen werden verbotene Schriften geschmuggelt. Wenn wir die Lage jetzt nicht in den Griff bekommen, werden es vielleicht bald Waffen sein.«
Wieder brach Lärm aus. Die Vorstellung, Rebellionen wie in Kossum könnten im Herzen des Reiches ausbrechen, war mehr als beunruhigend.
»Wir müssen hart durchgreifen!«, rief jemand.
Eine grauhaarige Frau aus der ersten Reihe, in der Lyrian eine hohe Generalin erkannte, erhob sich. »Als die Verschwörer gestern festgenommen wurden, konnte eine Verbindung zu Albathuris festgestellt werden?«
Ein Raunen ging durch die Menge. Auch Lyrian war nicht ganz wohl, als er den Namen hörte. Es hieß, vor Jahren hätten sich Verräter aus allen Teilen des Kontinents in der Wildnis zusammengetan und die Rebellenstadt gegründet, um die Herrschaft der Drachen zu beenden. Was als Schlupfwinkel für Spione aus den Geschwisterstaaten begonnen hatte, war heute das Zentrum einer ernst zu nehmenden Verbrecherorganisation, die nicht nur Truppen überfiel, sondern auch Bauern aufwiegelte und Waffen schmuggelte. Dank der weiten Ruinenlandschaften war Albathuris bis jetzt unauffindbar geblieben, ein Phantom, das allzu spürbare Schäden verursachte.
»Es waren nur Gildenmitglieder bei der Versammlung«, erwiderte Scarabahs Vater. »Allerdings zweifeln wir nicht daran, dass Albathuris hier die Finger im Spiel hatte. Wir konnten Bücher sicherstellen, die aus Modos oder Ghoroma stammen. Höchstwahrscheinlich haben sie ihren Weg über Albathuris in die Gilden gefunden.«
Nun erhob sich die Kaiserin. »Danke, Saradeon.«
Der Berater verneigte sich und nahm wieder Platz.
»Wir haben beschlossen, die Gilden schärfer zu beobachten«, fuhr die Kaiserin fort. »Wir erhöhen den Einsatz von fünfzig Raben auf einhundert pro Tag, mit besonderer Konzentration auf das Gildenviertel, das bis jetzt vergleichsweise vernachlässigt wurde.«
Lyrian runzelte unwillkürlich die Stirn. Dass man die Zahl der Spione gleich verdoppelte, zeigte den Ernst der Lage.
»Außerdem werden die Kontrollen innerhalb des Palasts verstärkt. Möglicherweise gab es nicht nur Verbindungen zwischen Gildenmitgliedern und Albathuris. Wir können nicht ausschließen, dass die Aufrührer ihre Informationen auch direkt aus dem Palast bezogen haben. So waren sie beispielsweise über gewisse Situationen in Kossum und anderen Provinzen unterrichtet, die streng geheim sind. Es besteht also Grund zur Annahme, dass menschliche Palastbesucher als Spione agieren und während ihrer Arbeit bei uns unbehelligt Erkundungen anstellen.«
Er starrte seine Mutter an. Aber dass Faunia... nein,
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