Rabenmond - Der magische Bund
hier draußen?«
Ohne ihn anzusehen, erwiderte sie: »Dasselbe könnte ich Euch fragen.«
Lyrian war verdutzt. Normalerweise redete Baltibb nicht so mit ihm.
Sie trat an die Vogeltränke, die vor Wasser überlief und den Boden überschwemmte, und fing einzelne Tropfen mit den Händen auf. »Sie ist schön, dieses Gildenmädchen. Das war das Erste, was Ihr über sie gesagt habt. Am Morgen nachdem Ihr Euren Fuchs verloren habt.«
Ihn durchfuhr die Erinnerung daran, wie sie sich über ihn gebeugt hatte und er zurück ins Leben gekommen war. Es war der Inbegriff eines Rätsels geworden, das er nicht einmal benennen konnte. Wie der Schlüssel zu einem Zimmer, von dem er nicht mehr wusste, wo es lag.
»Liebt sie Euch?« Baltibb fing einen Tropfen und schloss die Faust darum.
Lyrian seufzte. »Ich weiß nicht, was sie fühlt. Aber sie versteht mich.«
Als Baltibb sich umdrehte, sah er, dass ihr Gesicht kreideweiß war. »Was Ihr sagt, ist Hochverrat. Menschen können Drachen nicht verstehen.«
Er fuhr sich durchs Haar. Natürlich wusste er das selbst. »Aber wie kann die Wahrheit Hochverrat sein? Seit ich Faunia kenne, ist alles anders... ich bin glücklich. Und zugleich verzweifelter. Ach, ich weiß nicht, ich weiß gar nichts mehr. Wenn ich an sie denke, bin ich nicht mehr bei Verstand! Es ist... als würde ich wie ein Mensch fühlen.«
Sie schüttelte den Kopf, schüttelte ihn immer wieder. »Drachen können nicht fühlen. Ihr könnt nicht... das ist eine Lüge.«
Er stützte sich gegen eine der Säulen. Was sagte er bloß? Er traute sich nicht einmal, diese Dinge zu denken, und nun sprach er sie aus! Aber war es nicht immer so gewesen, dass er vor Baltibb ehrlicher sein konnte als vor sich selbst? »Ich weiß, dass sie ein Geheimnis vor mir verbirgt... und auch dass sie mich erschossen hat. Aber das spielt keine Rolle, weil meine Gedanken an sie vollkommen frei von Vernunft sind.« Er lachte hilflos. »Hörst du, wie ich rede? Ich klinge wie ein Mensch, der -«
»Hört auf!«, unterbrach Baltibb ihn schrill. Er sah sie an und merkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. »Menschen sind Euch egal, Ihr seid ein Drache und Menschen sind Euch egal. Ihr wisst nichts von Gefühlen, Ihr könnt niemals etwas für einen Menschen fühlen.«
Lyrian öffnete den Mund, konnte aber nichts erwidern. Plötzlich nahm er eine Bewegung hinter Baltibb wahr: Im Regen tauchte eine Gestalt auf.
Statt Armen hatte sie große braune Falkenschwingen. Federn bedeckten den Körper, die Füße waren Klauen. Nur das Gesicht war menschlich und gehörte Scarabah.
Als Baltibb Lyrians Blick bemerkte, wollte sie sich umdrehen, doch er hielt sie fest. »Dreh dich nicht um.«
»Warum?«
»Ein Drache. Sie darf dich nicht erkennen. Wir sehen uns später.« Er ließ sie los und kam auf Scarabah zu. Der Regen perlte von ihrem Gefieder. Ihr Mund war zu einem starren Lächeln verzerrt.
»Wer ist das?« Sie nickte in Baltibbs Richtung.
»Seid Ihr mir gefolgt?«, fragte Lyrian streng, während sein Herz raste. Wie lange war Scarabah schon hier?
»Ihre Majestät die Kaiserin sucht Euch. Alle suchen Euch.«
»Wieso?«
»Das sollte die Kaiserin Euch sagen.«
Lyrian zwang sich zu einem Nicken; mehr Freundlichkeit konnte er für Scarabah nicht aufbringen. Wenigstens schien sie ihn nicht belauscht zu haben, sonst würde sie kaum noch ihr süßliches Lächeln tragen.
Er atmete tief ein und trat näher. »Ihr behaltet für Euch, dass ich hier war. Und kein Wort über das Mädchen.«
Ein Zucken ging um ihren Mund. »Ist das ein Mensch ?«
»Kein Wort, Scarabah!«
Sie machte einen Knicks, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Mein Prinz...«
Er verwandelte sich in die Schwalbe und Scarabah folgte ihm. Der Regen fiel schwer wie Tropfen aus Blei, doch der Wind war schwächer geworden. Lyrian steuerte einen der höchsten Türme an und landete auf einer offenen Plattform. Eine Treppe führte ins Innere des Palasts.
Scarabah wusste, wo die Kaiserin wartete, und übernahm die Führung. Im Gehen tauschte sie die Vogelgestalt gegen ihre menschliche, was angesichts ihres Kleides kaum einen Unterschied machte: Es bestand ganz und gar aus lilafarbenen Federn, die bei jedem Schritt schimmerten.
Sie erreichten die kaiserlichen Gemächer und betraten ein geräumiges Zimmer. Die Kaiserin stand, umringt von mehreren Beratern - auch Scarabahs Vater -, bei den Fenstern.
Scarabah verneigte sich tief. »Ich habe ihn gefunden, Euer Majestät.«
Lyrian sah seine Mutter
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