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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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das, was er gesagt hatte. Die Wut auf ihn war wie weggeblasen; ihr Streit hatte neben den anderen Ereignissen seine Bedeutung verloren.
    Jeden Gedanken an Lyrian verdrängte sie. Doch wohin sie auch sah, flackerte für Sekundenbruchteile sein Gesicht vor ihr auf. Im Regen hörte sie seine Stimme, jeder Luftzug fühlte sich wie sein Atem auf ihrer Haut an, und wenn sie die Augen schloss, spürte sie seine Berührung wieder wie tausend aufflatternde Schmetterlinge.
    Jagu ging es immer schlechter. Er saß oft lange vor dem Fenster, und wenn Mion ihn ansprach, reagierte er nicht. Manchmal redeten sie miteinander und plötzlich verschleierte sich sein Blick und er versank in seiner eigenen Welt. Mion glaubte nicht, dass er traurig war - in ihm war eine Stille, die nach der Traurigkeit kam, wenn keine Regung mehr übrig blieb.
    Dass sie ihm nicht helfen konnte, ertrug sie nicht. Sie würde ihn retten. Sie würde den Prinzen überreden, sie beide zu Drachen zu machen. Und dann... sie konnte sich nicht vorstellen, wie, aber dann würden sie glücklich sein.

Ein Befehl
    D ie Versammlung war heute in einen kleinen, fensterlosen Raum verlegt worden, der nach dem Staub von Jahrhunderten roch. Als Lyrian neben seine Eltern auf die kaiserliche Empore trat, fiel ihm auf, dass es keinen Platz für Tandarespieler gab: Es war kein einziger Mensch anwesend, abgesehen von den Dienerinnen in ihren weißen Hauben, die die Türen für die hereinströmenden Drachen aufhielten.
    Als alle Sitze belegt waren, erhob sich die Kaiserin, und die hohen Türflügel wurden unauffällig von den Dienerinnen geschlossen.
    »Liebe Brüder und Schwestern, ich habe euch heute zusammengerufen, um über die Gilden der Menschen zu sprechen.«
    Das tranige gelbe Licht des Kronleuchters bestrich die Gesichter ringsum und verwandelte sie in griesgrämige Fratzen. Irgendwo ächzte ein Sessel, gedämpftes Hüsteln.
    »Wie ihr wisst, gab es in letzter Zeit unliebsame Überraschungen. Die Schriften der Feinde sind nun auch in der gehobenen Schicht in Umlauf geraten. Erst gestern konnten wir das hier sicherstellen.« Sie gab den zwei Dienerinnen ein Zeichen, woraufhin sie eine eisenbeschlagene Kiste in die Mitte der Halle trugen. Holz knarrte, als die Drachen sich vorbeugten. Die Kiste wurde geöffnet und ein paar zerfledderte Bücher, Schriftrollen und Briefe kamen zum Vorschein. Eine der Dienerinnen nahm einen Stapel zusammengebundener Papiere heraus und brachte ihn der Kaiserin, dann verließen die Menschenfrauen leise den Saal.
    »Hier haben wir unterzeichnete Kontrakte, die in den Gilden herumgereicht wurden.« Die Kaiserin zog die roten Bänder auf und ließ sie zu Boden fallen. Nüchtern las sie vor: »Brüderlichkeit. Verstand. Freiheit. Wer diesen Pakt mit seinem Namen unterzeichnet, gehört zur Neuen Volksfront Wynter. Die Neue Volksfront Wynter steht für Gerechtigkeit und Menschenfreiheit. Ihre Anhänger haben Anspruch auf Asyl in Albathuris und bei allen Verbündeten der Geschwisterstaaten. Im Gegenzug versprechen sie jedem Rebell, der sein Leben für die Volksfreiheit riskiert, Unterkunft, Schutz und Geheimhaltung.« Sie senkte das Papier und blickte in die Runde kreidebleicher Gesichter. Plötzlich sprang ein älterer Drache auf. »Das müssen Spione der Geschwisterstaaten verfasst haben! Unsere Gilden würden nicht von allein auf solche Hirngespinste kommen!«
    »Das mag sein. Aber woher dieser Wahn auch kommen mag, er hat erste Wurzeln geschlagen.« Sie blätterte durch den Papierstapel.
    »Wie viele von diesen Kontrakten gibt es?«, fragte eine Frau aus der hintersten Reihe.
    »Wir konnten gestern bei einer verschwörerischen Versammlung zwölf sicherstellen... zusammen mit den jeweiligen Unterzeichnern. Möglicherweise sind das alle, vielleicht nicht einmal die Hälfte. Das lässt sich erst feststellen, wenn die Verräter ihre Geständnisse abgelegt haben.«
    »Aus welcher Gilde kommen die Verräter?«, fragte ein anderer Drache.
    »Das ist der springende Punkt«, antwortete die Kaiserin. »Die Verschwörer gehören unterschiedlichen Gilden an. Es droht eine übergreifende Sinneswandlung unter den Menschen.«
    Nun brach Tumult aus. Niemand hatte geahnt, dass die Propaganda der Feinde so weit nach Wynter vorgedrungen war. Auch Lyrian war überrascht. Es war etwas anderes, die Stimme des Protests aus den fernen, vom Krieg erschütterten Provinzen zu hören. Aber eine so radikale Sprache innerhalb der Stadtmauern? Er musste an Faunia denken und sah

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