Rabenmond - Der magische Bund
vom Kopf geschoben, sodass man die vielen schwarzen Zöpfe sehen konnte, die ihr um das kantige Gesicht standen. »Warum sollten wir dich umbringen?«
»Ihr seid doch Ruinenräuber.«
Die Frau senkte den Bogen. »Bist du ein Diener der Drachen?«
Baltibb schluckte. »Ich bin ein Flüchtling.«
»Wovor flüchtest du?«
»Was schert euch das? Was schert das irgendwen?«
Die Frau musterte sie von oben bis unten. Dann steckte sie ihren Pfeil ein. »Hast du Hunger?«
Albathuris
D ie Reisenden gaben Baltibb Brot und trockene Kleider. Wortlos nahm sie ihre Hilfe an, sah weder auf noch dankte sie; dass ausgerechnet jetzt jemand gut zu ihr war, konnte sie gar nicht begreifen. Es musste eine Falle sein.
»Wohin bist du unterwegs?«, fragte die Frau mit den schwarzen Zöpfen. Baltibb zuckte die Schultern.
»Du weißt nicht, wo du hinwillst?« Die Bogenschützin beobachtete sie eine Weile scharf, dann runzelte sie die Stirn. »Nun. Wir müssen jedenfalls weiter.«
Baltibb schluckte den Bissen Brot hinunter. Bewaffnete, die einer Fremden in der Wildnis einfach so Kleidung und Essen gaben, da stimmte doch etwas nicht. Irgendetwas wollten sie im Gegenzug, aber Baltibb hatte ganz offensichtlich nichts.
Schließlich seufzte die Frau und wandte sich ab. »Dann viel Glück auf der Flucht, Mädchen. Mögen die Drachen dich nicht finden.«
Als die Frau zu den anderen Leuten zurücklief, stand Baltibb auf. »Seid ihr nun Ruinenräuber oder nicht?«
Die Frau blieb stehen. »Nein.«
Verzagt nahm Baltibb das Brot von einer Hand in die andere. »Was dann?«
»Nicht«, murmelte ein Mann der Bogenschützin zu, als sie den Mund öffnete. Doch sie hörte nicht auf ihn. »Kennst du Albathuris?«
Baltibb blickte von Gesicht zu Gesicht. Sie hatte davon gehört, ja - es war die Rebellenstadt in der Wildnis. Lyrian hatte ihr irgendwann davon erzählt. Die Frau lächelte sie auf eine Art an, dass sie nicht sicher war, ob sie ein Geheimnis vor ihr verbarg oder offenbarte.
»Also seid ihr Rebellen?«
»Manche Fragen sind gefährlich«, sagte der Mann neben der Bogenschützin finster. Er war nicht sehr groß, sah aber kräftig aus und hatte ein strenges, ernstes Gesicht. Als er sah, wie Mond mit dem Schwanz wedelte, schien er etwas gelassener.
»Wie heißt dein Hund?«
»Mond.«
Einen Moment schweifte sein Blick durch die Runde, als ob jemand Einwände dagegen erheben könnte.
Die Bogenschützin flüsterte ihm etwas zu und sie sahen einander skeptisch an. Schließlich nickte er langsam. »Jeder, der vor den Drachen auf der Flucht ist, kann von uns Hilfe erwarten. Na los... du kannst mit uns kommen. Dein Hund auch.«
»Die meisten von uns kommen aus Modos, kennst du das? Es liegt an der Grenze zu Kossum. Die zwei da vorne, der weißbärtige Pferdeführer und der junge Mann neben ihm, sind Gesandte der Regierung von Ghoroma. Und unser Wildführer Sethur und ich sind in Wynter geboren.« Die Bogenschützin sprach in leisem Ton, während sie durch die Wälder gingen. Sethur, der Mann, der ihr angeboten hatte mitzukommen, drehte sich beim Klang seines Namens um und nickte ihr zu.
»Und dein Name?«, fragte Baltibb die Frau.
»Kasamé.«
Schweigend setzten sie ihren Weg fort, nur das Klirren des Pferdegeschirrs und das Rascheln der Blätter waren zu hören. Baltibb hatte sich einer Gruppe von Rebellen angeschlossen. Es war so absurd, dass sie es einfach nicht ernst nehmen konnte.
Der Tag blieb nebelig. Ein dunstiger Schimmer versilberte die Regentropfen, sonst war von der Sonne nichts zu sehen. Doch Sethur schien zu wissen, wohin er sie führte. Auf leisen Sohlen lief er der Gruppe voran, eine Hand stets am Schwertgriff.
Abends machten sie in einer Ruine Rast, die versteckt in einem Fichtental lag. Vier Krieger hielten Nachtwache, kein Feuer wurde entfacht. Es gab Dörrfleisch und Brot, und Baltibb bekam nicht weniger als die anderen, doch sie überließ ihre Fleischration Mond. Dann verkroch sie sich mit ihm in einem trockenen Winkel zwischen den moosbewachsenen Steinen. Während sie einschlief, lauschte sie den Gesprächen der Bande. Ihre Stimmen hoben sich kaum vom Regentröpfeln ab, Baltibb verstand gar nichts …
Nur einen Atemzug später, so schien es, spürte sie eine Hand auf dem Arm und fuhr auf. Kasamé stand über ihr, Bogen und Köcher geschultert. Es war Tag geworden. Baltibb fühlte sich, als hätten sie die Nacht übersprungen.
»Wir brechen auf«, sagte Kasamé, und Baltibb folgte ihr nach draußen. Die
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