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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Noch immer fiel Regen, überall plätscherte es. So hörte niemand Baltibbs Schritte im Gras, als sie sich den Palastmauern näherte.
    Oben gingen Sphinxe auf und ab, doch im Schutz der Bäume war Baltibb unsichtbar. Neben ihr rauschte der Fluss durch ein mächtiges Tor hinaus in die Dunkelheit. Ein Gitter versperrte den Weg für jeden Eindringling - oder Flüchtling.
    Lange kniete Baltibb im Ufergras und überlegte, ob sie und Mond sich durch die Gitterstäbe zwängen konnten. Aber außer dem Fluss gab es nur noch den Eingang für menschliche Besucher und der wurde Tag und Nacht von Sphinxen bewacht. Einen anderen Weg aus dem Palast gab es für einen Menschen nicht.
    Sie wartete, bis die Sphinxe auf der Mauer weit genug entfernt waren, dann ließ sie sich ins Wasser gleiten. Vor Kälte blieb ihr die Luft weg. Dann zog sie Mond zu sich.
    »Komm. Keine Angst...«
    Er winselte und stieß ein klägliches Jaulen aus, als er ins kalte Nass platschte. Einen Moment wartete Baltibb, ob jemand auf sie aufmerksam geworden war. Doch bis auf das Prasseln des Regens blieb es still. Die Lichter auf der Mauer bewegten sich träge in der Ferne.
    Dicht am Ufer ließen sie sich auf das Tor zutreiben. Baltibb hielt sich am Gras fest, weil die Strömung stark war. Auch Mond strampelte mühselig; sie versuchte, ihn mit einem Arm zu halten, damit wenigstens sein Kopf über Wasser blieb.
    Schließlich erreichten sie das Gitter. Die Strömung presste sie gegen das glitschige, kalte Eisen, und Baltibb klammerte sich eine Weile daran fest, um wieder zu Atem zu kommen. Dann packte sie Mond und hievte ihn hindurch. Es war nicht gerade einfach. Er weigerte sich, seine Pfoten zuerst durchzustrecken, und als sie es endlich geschafft hatten, trat er ihr versehentlich mit dem Hinterfuß ins Gesicht. Baltibb spürte, wie seine Krallen einen Kratzer über ihre Wange zogen, dann platschte Mond auf der anderen Seite in den Fluss. Er bellte panisch, als er forttrieb.
    »Still!« Sie hustete und klammerte sich ans Gitter. Mond war fast in der Dunkelheit verschwunden, doch sein Bellen schien die halbe Welt aufzuwecken. Über Baltibb irrten Lichter heran. Sie holte tief Luft und tauchte unter.
    Instinktiv riss sie die Augen auf, aber es blieb so stockfinster, als wäre sie erblindet. Sie streckte die Füße aus, um den Boden zu finden. Da war nichts. Am Gitter schob sie sich tiefer, Stück für Stück. Dicke, schwammige Algen schmiegten sich zwischen ihre Finger. Endlich spürte sie den Grund unter sich. Er war schlammig, ihre Füße versanken fast ganz darin. Sie ging in die Hocke und tastete nach dem Ende des Gitters. Der Wasserdruck presste von allen Seiten auf sie ein.
    In der Höhe ihrer Knie waren dicke Eisenspitzen. Darunter Leere. Mit letzter Kraft schob sie sich tiefer, bis sie fast auf dem Boden lag. Der Druck wollte ihr den Kopf zerquetschen. Luft drang ihr aus dem Mund. Nun steckte sie unter dem Gitter, die Spitzen bohrten sich zwischen ihre Rippen. Dann zwängte sie sich ganz hindurch. Ihr Hinterkopf berührte den Grund. Das letzte bisschen Luft entwich ihren Lungen. Unbeholfen stieß sie mit der Schulter gegen eine der Eisenspitzen und riss sich den Kittel und die Haut auf. Aber sie spürte den Schmerz kaum - er war nichts im Vergleich zu ihren brennenden Lungen und dem kreischenden Ton in ihren Ohren. So schnell sie konnte, strampelte sie durch die Schwärze. Dann, endlich, stieß sie mit dem Kopf aus dem Wasser und rang nach Luft. Ihr war, als würde sie vor Erleichterung explodieren.
    Wellen klatschten ihr an den Hinterkopf, die Strömung trieb sie eilig fort. Wo war Mond? Sie warf noch einen Blick zurück und sah das hohe Tor schwindelerregend schnell verschwinden. Das war das Letzte, was sie von ihrer Heimat sah. Eine neue Welle schlug ihr entgegen, drückte sie unter Wasser und zerrte sie davon. Als sie noch einmal zurückschaute, war vom Palast und ihrem Zuhause nicht mehr übrig als ein paar rasch verglühende Lichtpunkte in der tiefen Nacht.
    Auf dem Weg durch die Mauerringe musste Baltibb sich und Mond durch ganze fünf Gittertore bringen. Jedes Mal fand sie Mond am nächsten Tor angespült, halb ertrunken und zitternd vor Todesangst. Wenigstens bellte er nicht mehr. Als sie endlich die letzte Mauer hinter sich hatten und dunkle Anwesen die Ufer säumten, war Baltibb so erschöpft, dass der Gedanke ans Sterben sie nicht mehr beängstigte. Was auch immer jetzt passierte, sie würde es hinnehmen.
    Irgendwann schafften sie es ans Ufer.

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