Rabenmond - Der magische Bund
Packpferde waren beladen, die Krieger trugen ihr Rüstzeug und alle warteten auf den Aufbruch. Baltibb ging mit Kasamé vor zu Sethur, der sie mit einem Nicken grüßte. Als er Mond sah, holte er ein paar Fleischstreifen aus seinem Beutel und fütterte ihn. Baltibb beschloss, dass sie den Fährtensucher mochte.
Noch immer fiel leichter Nieselregen. Der Geruch von altem Laub und schwarzer Erde machte die Luft schwer. Baltibb fühlte sich an Tod und Fäulnis erinnert, zugleich strotzte alles vor rohem, dunklem Leben.
Im Verlauf des Tages tuschelten die Krieger immer wieder über sie und warfen vor allem Mond argwöhnische Blicke zu. Baltibb konnte es ihnen nicht verübeln. Wieso Kasamé und Sethur ihr vertrauten, war ihr mindestens ebenso schleierhaft wie den Mitreisenden.
Am Nachmittag - jedenfalls vermutete Baltibb im eintönigen Dämmerlicht der Wälder, dass es schon so spät war - verließ Kasamé die Spitze des Zuges und gesellte sich zu ihr. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinanderher.
»Wie lange sind wir noch unterwegs?«, fragte Baltibb, mehr weil sie das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen, als dass es sie wirklich interessierte.
Kasamé schien erfreut, dass sie endlich Neugier zeigte. »Noch heute kommen wir an, wenn Sethur recht behält. Aber bis jetzt hat er sein Wort nicht gebrochen.« Sie lachte leise. »Wir sind schon lange unterwegs. Zu lange. Unsere Freunde aus Modos sind nun fast drei Monate gereist.«
Baltibb dachte an ihre Reise mit Lyrian. »Sie müssen den Weg gut gekannt haben, wenn sie so schnell waren.«
Kasamé zog eine Augenbraue hoch. »Woher weißt du das?«
»Ich bin nicht das erste Mal auf der Flucht.«
Die Rebellin beobachtete sie aufmerksam und schüttete das Regenwasser aus ihrem Köcher. »Ich habe auch einmal den Drachen gedient.«
Überrascht sah Baltibb auf. Als Dienerin konnte sie sich Kasamé mit ihrem Kraushaar und den gefährlich funkelnden Augen nicht gut vorstellen. Sie schien mit einem Bogen in der Hand geboren worden zu sein, nicht mit einer weißen Haube auf dem Kopf.
»Meine Eltern und Geschwister und ich, wir haben in den Ruinen gegraben, solange ich mich erinnern kann. Ich bin in einer Gräberkarawane aufgewachsen. Wir waren zwischen zwei Dutzend und zweihundert Arbeitern, je nachdem wohin die Drachen uns schickten. Bei den kleineren Ruinen haben uns nur ein paar Sphinxe bewacht. Aber bei den großen... da waren auch Darauden.«
Baltibb dachte mit Unbehagen an die Bestien und sah Kasamé an, dass sie ähnlich fühlte. »Was habt ihr ausgegraben?«
»Alles Mögliche. Hauptsächlich alte Sachen aus Metall... Sachen, von denen niemand wusste, wozu sie einst gedient haben. Und natürlich Gold, Silber, Waffen und Bücher! Auf die haben die Drachen es besonders abgesehen. Ich weiß noch, dass ich furchtbar Angst hatte, Bücher zu finden.«
»Warum?«, fragte Baltibb überrascht.
»Wenn du ein gefährliches gefunden hast, wurdest du gleich mit dem Buch verbrannt. Für den Fall, dass du es gelesen hattest.« Kasamé grinste bitter. »Die Drachen suchen die Schätze der Vergangenheit nicht nur, weil sie ihnen heute dienlich sind. Vor allem sind sie gefährlich. In Büchern und manchen anderen Gegenständen sind Gedanken und Ideen von früher erhalten, die die Lügen der Drachen aufdecken könnten. Das ist der Hauptgrund, warum die Drachen die Ruinen durchsuchen lassen. Sie vernichten mehr, als sie bergen.«
Baltibb schwieg. Nun erinnerte sie sich, dass viele Ruinen, die sie mit Lyrian gesehen hatte, niedergebrannt gewesen waren. Ob dort wirklich Schätze aus früheren Zeiten im Feuer geendet waren - zusammen mit Menschen?
Allmählich wurde es dunkel, doch niemand entfachte eine Fackel. Baltibb erwartete, dass sie ihren Weg fortsetzen würden, bis die Finsternis sie zur Rast zwang. Aber dann leuchtete etwas vor ihr auf - und kam rasch näher. Rings um sie wurden Schwerter gezogen, auch Kasamé nahm Pfeil und Bogen von der Schulter.
»Heil Albathuris!«, rief jemand, und der Gruß wurde von nah und fern erwidert. Nun senkten alle die Waffen und liefen dem Licht entgegen.
Der Träger war ein bis an die Zähne bewaffneter Krieger. Er schloss Sethur und den alten Gesandten aus Ghoroma in die Arme und begrüßte auch die anderen herzlich. Baltibb behandelte er nicht anders, weshalb sie vermutete, dass er die meisten wie sie zum ersten Mal sah.
»Kommt, wir haben seit vorgestern eure Ankunft erwartet«, sagte der Krieger mit der Fackel und führte sie an.
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