Rabenmond - Der magische Bund
Beifall. Dumpf, gleichgültig, lobend und verhöhnend zugleich.
Lyrian atmete schwer. Sein ganzes Leben lang war er hierfür ausgebildet worden: um sich unter seinesgleichen zu behaupten. Denn was einen künftigen Kaiser am meisten bedrohte, mehr noch als der Krieg gegen die Menschenreiche, waren die anderen Drachen. Nur wenn er sich als talentierter und mächtiger Drache erwies, würde man ihn als Thronfolger akzeptieren. Nicht selten waren in der Vergangenheit Kaiser gestürzt worden.
Bis jetzt hatte Lyrian mittelmäßig abgeschnitten, was hauptsächlich daran lag, dass die Schiedsrichter ihn gewinnen ließen. Man versuchte, ihm Siege unterzujubeln und Vorteile zu schaffen, die ihm nicht zustanden, aber Lyrian hatte nichts anderes erwartet. Die Kaiserin wollte einen Sohn mit ihren Stärken, und was die Kaiserin wollte, bekam sie.
Am Ende des Tages ging der Siegertitel an Scarabah, die Tochter des kaiserlichen Beraters für innere Sicherheit: Gegen ihren weißen Tiger, den Sturmfalken und die Seeschlange verloren dreiunddreißig gleichaltrige Gegner. Zur Ehrung durfte Scarabah beim Festmahl an der kaiserlichen Tafel speisen, die auf einer Empore über den Tischen der gewöhnlichen Drachen stand. Ihr goldener Siegeskranz glänzte fast so königlich wie die Krone von Lyrian, der zu ihrer Linken saß. Die Kaiserin und der Kaiser warfen ihnen gelegentlich Seitenblicke zu, und auch die versammelten Drachen unter ihnen reckten sich die Hälse, um den Prinzen und die Siegerin zu sehen. Lyrian wusste, was alle dachten. Beinahe jeder Drache mit einer Tochter hoffte insgeheim auf eine Vermählung. Die Kaiserin würde entscheiden, welche Kandidatin ihre Nachfolge antrat, so schrieb es die Tradition vor.
Am anderen Ende der Speisehalle wurden Theaterstücke aufgeführt und Spielleute begleiteten das Festmahl mit Musik und Tanz. Lyrian beobachtete gedankenverloren eine Tänzerin. Ihre Finger glitten über die lange Querflöte und entlockten dem Instrument fröhliche Klänge, ihre Füße folgten dem Takt leicht wie Herbstlaub im Wind. Er spürte, wie ein Lächeln über seine Lippen huschte. War Musik nicht herrlich? Jeder mochte sie und sie tat niemandem weh. Sonst hatte alles seinen Preis, aber die Menschenkünste bereiteten nur Freude. Gewiss genoss die Tänzerin es ebenso, ihr Instrument zu spielen, wie der Klang Lyrian erfreute.
»Mein Prinz?«
Lyrian erwachte aus seinen Gedanken und wandte sich dem Mädchen an seiner Seite zu. Ein Lächeln flackerte auf Scarabahs länglichem Gesicht. Dort, wo ihr hellviolettes Kleid die Schultern freilegte, wuchsen seidige Falkenfedern aus ihrer Haut, und auch ihre Stirn wies eine feine Federmusterung auf. Dass sie ihre Tierkorpusse schon so gut beherrschte, um derart präzise Akzente zu setzen, bewies einmal mehr ihr Naturtalent - und ihren Ehrgeiz. Normalerweise konnten nur ältere Drachen ihre wahre Gestalt mit solchen Details schmücken. Gewiss hatte ihr Vater so manche Stunde nach dem üblichen Unterricht mit ihr trainiert. Auch er war ein exzellenter Formwandler.
»Scarabah?« Lyrian neigte leicht den Kopf.
»Ich hoffe, ich habe Euren Fuchs im Kampf heute nicht zu sehr verletzt, Euer Majestät.« Sie deutete eine Verneigung an, wobei ihr üppiges Haar auf den Tisch fiel.
»Danke, ich habe keine großen Schäden zu beklagen. Ihr habt sehr gut gekämpft.«
Sie sah ihn durch klimpernde Wimpern hindurch an, doch ihr Lächeln blieb ernst, beinahe versteinert. »Mir ist beim Kampf etwas aufgefallen, wie zweifelsohne einigen anderen Teilnehmern auch. Wäre es zu anmaßend, eine Bemerkung zu äußern, Euer Majestät?«
Lyrian gab ihr mit einem Handwink zu verstehen, dass sie fortfahren durfte.
»Mir schien es, als umfasse Euer Fuchs... nicht alle drei Korpusse, Euer Majestät.«
Im goldenen Schein der Kerzenständer und Feuerschalen war Lyrian nicht sicher, ob das Mädchen errötete. Er nickte freundlich. »Ihr habt einen scharfen Blick, Scarabah. Es stimmt, einer meiner Fuchskorpusse ist mir bereits abhandengekommen.«
Ihre Augen glommen auf. Kurz glaubte Lyrian, den Blick des Falken darin zu erkennen. Dass die Tiergestalten eines Drachen seine menschlichen Züge veränderten, war nicht ungewöhnlich. Er musterte ihr längliches Gesicht mit der dünnen, unebenen Nase und den großen, runden Augen. Bis zu diesem Tag hatte er ihr nie mehr Aufmerksamkeit geschenkt als anderen Drachen seines Alters. Nun, da sie die Juniorenturniere gewonnen hatte, würden ihr Vater und die
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