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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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sie aber kurz vor dem Boden wieder auf. Er verbrannte sich die Finger, fluchte laut und biss sich auf die Unterlippe.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja«, murmelte er. »Bringen wir den Welpen zu dir.«
    Schweigend gingen sie zurück. Vor der Tür blieb Baltibb stehen und nahm Lyrian die Laterne ab. »Wollt Ihr mit reinkommen?« Kaum war ihr die Frage entschlüpft, senkte sie das Gesicht und wich seinem Blick aus.
    »Ich bin müde.«
    »Ja. Gute Nacht, Majestät.«
    Lyrian ging zwei Schritte und drehte sich noch einmal um. »Aber morgen, soll ich morgen kommen?«
    Baltibb hielt inne, die Tür schon fast geschlossen. Sie nickte flüchtig und lächelte, dann fiel die Tür mit einem leisen Knarren ins Schloss.
    Später stieg Lyrian in einen der Türme und öffnete das Fenster. Die Welt unter ihm war ein Kreidebild aus Weiß und Grau. Eisig blies der Wind ihm entgegen, wollte ihn erst ins Zimmer zurückstoßen und zog ihn dann ungeduldig nach draußen. Lyrian öffnete zitternd die Hände und gab nach.
    Wie ein Schneekorn flog er durch die Luft, nichts unter sich, nichts über sich als brüllenden Wind. Dann kam die Erde näher und mit ihr ein Tod, der wirklich endgültig wäre... Im letzten Augenblick verwandelte er sich in die Schwalbe und rettete den Jungen.
     
    Sehr blass erschien er am nächsten Tag vor seinen Leibärzten, die ihn jeden siebten Tag zur Untersuchung erwarteten. Als er im Eingang vom Fuchs in den Jungen wechselte, erhoben und verbeugten sich die zwei Männer und die Frau tief. Der eine war klein und hatte ein jungenhaftes rundes Gesicht, zu dem sein Bart nicht recht passen wollte, der andere war alt und glatzköpfig. Die Frau hatte sich das Haar unter eine hohe Haube gesteckt und unterschied sich in ihren schwarzgrauen Roben kaum von den beiden Männern.
    Lyrian ließ sich auf die Polsterliege sinken und zog ein Knie an. Die Leibärzte nahmen an einem Tisch Platz, auf dem ihre Unterlagen ausgebreitet waren.
    »Euer Majestät«, hob die Frau an, den Kopf geneigt. »Habt Ihr besondere Vorkommnisse zu melden? Bitte unterrichtet uns über Eure seelische Verfassung. Dann lasst uns über die Turniere sprechen und die Korpusse untersuchen.«
    Lyrian brauchte einen Moment, ehe er einen Anfang fand. Früher hatte er nie Probleme gehabt, über sich zu sprechen, erst seit dem Ritual der Wintersonnenwende fiel es ihm schwer. Die Leibärzte hatten das natürlich bemerkt. »Erwachungsschock eines Erstverwandelnden« nannten sie das, was er gerade erlebte - schöne, knappe Worte für Dinge, die in keiner Sprache der Welt hätten erklärt werden können.
    »Es ist immer noch da, diese... diese Übelkeit«, begann Lyrian langsam. Federkratzen auf Papier. »Mir ist, als wäre da eine unsichtbare Mauer zwischen mir und allen anderen. Immerzu denke ich an das Ritual der Wintersonnenwende. Ich wünschte, ich könnte es vergessen wie die anderen, aber... es scheint mir auch falsch, dass sie es so leichtfertig vergessen.« Lyrian verstummte und hatte keine Lust mehr, weiterzureden.
    Der Tisch knarrte, als der jüngere Mann sich vorlehnte. »Das ist sehr wichtig, Euer Majestät. Empfindet Ihr Veränderungen in der Art, wie Ihr denkt? Überkommen Euch plötzliche Gelüste nach rohem Fleisch?«
    Mit einem Blinzeln sah Lyrian den Arzt an. »Nein. Meine Korpusse greifen nicht in meine Persönlichkeit ein.«
    Sie wussten nicht, wovon er sprach. Und vorwerfen konnte er es ihnen schließlich auch nicht, sie hatten ja keine Ahnung, was beim Ritual der Wintersonnenwende geschah. Dieses Geheimnis durfte ein Drache niemandem verraten, auch nicht seinen Leibärzten.
    »Ich empfehle mehr Schlaf, Euer Majestät«, schloss der ältere Leibarzt und notierte. »Ein Verlangen nach Distanz zur übrigen Gesellschaft, gemischt mit der Sehnsucht nach Nähe, ist für das Alter ganz normal. Die Persönlichkeit definiert sich neu durch Ablehnung alter Gewohnheiten, dabei ist die Phase der Abkapselung unumgänglich und führt ganz natürlich zu Einsamkeitsgedanken hin und wieder.«
    Lyrian hatte keine Ahnung, wovon der Arzt schwafelte. Er bezweifelte, dass die anderen beiden Ärzte mehr verstanden, doch sie kritzelten verhalten ein paar Notizen.
    »Mehr Schlaf«, wiederholte der ältere Arzt. »Mondblautee gegen Schlafstörungen eine Stunde nach dem Abendessen.«
    »Drei Löffel Silberstaub gegen schlechte Träume«, fügte die Frau hinzu.
    Der junge Arzt nickte eifrig. »Sehr gut. Dann lasst uns die Korpusse untersuchen. Euer Majestät -«
    Lyrian

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