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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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meinst du, Mabef?«
    Der Bärtige griff noch fester in ihre Schulter. »Eine Dame rennt nicht wie ein Wiesel. Aber weißt du, wer so rennen kann, Lesann? Eine Diebin. So schnell rennt nur eine Diebin.«
    »Ich bin keine Diebin! Lasst mich los, verdammt!«
    »Ah, ganz bestimmt keine Dame. Wir wollen mal sehen, wie du heißt, kleines Wiesel. Bist du eins von Rumgols Mädchen?« Der Hagere hustete schwer und tastete ihren Rock nach Taschen ab. Als er nichts fand, verzerrte sich sein Grinsen. »Du, Mabef, die Kleine hat keinen Bürgerschein.«
    Die beiden Männer starrten sie an wie einen Dukaten, der sich in einen Sack voll Gold verwandelt. Dann packte der Dünne plötzlich ihr Gesicht und drückte ihren Kopf gegen die Mauer. »Hah, eine kleine Ruinenlaus! Es ist doch immer dasselbe. Kriecht durch eure Schlupflöcher in die Stadt und meint, in geklauten Kleidern riecht ihr nicht mehr nach Ruinendreck!«
    »Was macht man mit so einer«, schnaufte der Bärtige vergnügt. »Es wäre die Pflicht jeden ehrbaren Bürgers, die Diebesbeute dieser Ruinenlaus zu konfiszieren, oder nicht? Und dann...«
    Zu Mions Überraschung ließen die beiden sie los. Lachend klopfte der Bärtige ihr auf die Schulter, als wäre ihr ein wenig Schnee aufs Kleid gerieselt.
    »Weißt du, Lesann«, sagte er gedehnt, »ich hab doch immer Mitleid. Ob so eine kleine Laus nun draußen lebt oder hier drinnen, was macht das schon für einen Unterschied? Wir sollten ihr helfen hierzubleiben.«
    »Du hast recht«, sagte der Hagere ernst und besah Mion von oben bis unten. »Na, wir helfen dir, Wiesel. Wir beschaffen dir einen Bürgerschein, damit du in Wynter bleiben kannst. Und weil wir außerdem das Herz am rechten Fleck haben, melden wir deinen kleinen Diebstahl nicht den Sphinxen. Wir heben den Schmuck sogar für dich auf, damit du ihn nicht verstecken musst.«
    »Und du darfst von jetzt an für uns arbeiten«, fügte der Bärtige liebenswürdig hinzu.
    Mion atmete schwer. »Gut«, murmelte sie heiser. »Ist gut.«
    »Gib den Plunder her«, befahl der Hagere und griff nach ihren Fingern, um die Ringe abzuziehen. In dem Moment trat Mion ihm mit aller Kraft in den Unterleib. In einer Bewegung fuhr sie herum und traf den Bärtigen mit der Faust auf den Kehlkopf. Schreie gellten ihr in den Ohren. Eine Hand griff nach ihr - Mion duckte sich und rannte, so schnell sie konnte.
    Die beiden verfolgten sie. Mion hörte ihr wütendes Schnaufen direkt hinter sich, gab ihre letzten Kräfte, rannte, bis es nur noch den nächsten Schritt gab, und den nächsten und den nächsten. Ihr Kleid riss vom Saum bis zum Knie. Im Stolpern verlor sie einen Armreif. Dann, endlich, öffnete sich die Straße vor ihr und warf sie auf den Marktplatz.
    Ein Händler schrie auf, als Mion eine Kiste voller Eier umriss. Überraschte Ausrufe folgten, doch Mion nahm nichts wahr und stürmte weiter. Schließlich landete sie in einer Nebenstraße. Ihre Seite stach so sehr, dass sie gekrümmt laufen musste. Hüstelnd kroch sie hinter ein Haus, kletterte von einer alten Kiste über ein Regenfass auf das flache Dach. Am ganzen Leib zitternd, brach sie zusammen. Irgendwo unter ihr waren aufgebrachte Stimmen... Marktfeilschen oder zornige Männerrufe? Sie konnte es nicht sagen. Die Erschöpfung holte sie ein, Dunkelheit kam und schluckte für eine Weile die Welt.
     
    Stunden, Tage mochten vergangen sein, bis Mion die Kraft fand, sich wieder aufzurichten. In Wirklichkeit waren nur Minuten verstrichen. Zitternd umschlang sie die Knie mit den Armen. Die Stadt versank in vorabendlichem blauen Dämmer. So weit das Auge reichte, Hausdächer. Weiter unten war Wynter ein bis zur Unkenntlichkeit verschlungener Irrgarten aus Gassen und Siedlungen, weiter oben konnte man die majestätischen Villen der Gilden zwischen hohen Bäumen ausmachen. Dahinter, fern und unwirklich in einem Dunst aus Wolken, waren die höchsten Türme des Palasts in den Himmel gezeichnet.
    Wynter war riesig. So riesig... man konnte von hier aus nicht einmal die Stadtmauern sehen, geschweige denn die Ruinen. Mion weinte leise, aber der Wind trug ihre Stimme davon. Wären alle Menschen in diesem Augenblick tot umgefallen, hätte sie sich nicht verlassener fühlen können.
    Sie kletterte vom Haus und schrammte sich den Unterarm an der rauen Mauer auf. Blutstropfen sammelten sich an den Schrammen. Das hatte noch gefehlt.
    »Ich hasse dich«, schluchzte sie und wusste nicht einmal, wen sie meinte. Wahrscheinlich alle.
     
    Immer wieder sah

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