Rabenmond - Der magische Bund
erinnert Ihr euch daran, dass Faunia mich vor einigen Jahren auf ihr Talent aufmerksam machte, indem sie Stadteigentum mit Kreide verzierte.«
Faunia bemühte sich, ihn anzulächeln, doch die Geschichte ihrer Herkunft war ihr offensichtlich unangenehm. Auch die Gildenmitglieder warfen ein paar unruhige Blicke umher. Man konnte nie wissen, ob ein Spion der Drachen in der Nähe war.
»Ich hielt Faunia für einen einmaligen Glücksfall, doch wie sich herausgestellt hat, besitze ich ein Geschick dafür, begabte Künstler aufzuspüren. Mion ist die Tochter eines Tischlers, der mir ein paar Möbel gezimmert hat. Eines Tages kam ich die Tischlerei besuchen und entdeckte Mion beim Schnitzen einer kunstvollen Holzfigur. Was war es noch, Mion?«
»Ein Jaguar«, sagte sie mit einem Lächeln. Jagus Augen verwandelten sich in Abgründe. Samtene Tiefe, die sie in die Arme schloss. Sie schluckte nervös.
»Genau. Ein Jaguar. Dann hast du mir erzählt, dass du noch besser zeichnen als schnitzen kannst -«
»- und ich habe Euren Gehstock genommen und ein Bild in den Schnee gemalt«, schloss Mion.
Sie sahen sich für eine Sekunde an, die nur ihnen zu gehören schien und die der Rest der Welt nicht wahrnahm. Dann wandte Jagu sich an die anderen und breitete die Arme aus. »Was soll ich sagen? Sie ist ein Naturtalent.«
»Und offenbar selbstbewusst«, rief Hekilon und schwenkte seinen Kelch anerkennend in Mions Richtung. »In deinem Alter hätte ich mich nicht getraut, vor jemand Fremden zu zeichnen. Ich war furchtbar schüchtern.«
»Wenn man arm ist, kann man sich Schüchternheit nicht leisten«, sagte Mion.
»Wahr gesprochen«, murmelte eine Künstlerin neben ihr. Wohlwollend sah man auf Mion. Sie fühlte, dass sie aufgenommen war.
Auf einem anderen Fest, bei dem die Gilde der Kunstschmiede ihre neuesten Schmuckstücke präsentierte, traf Mion den Schneiderlehrling Atlas wieder.
Zwischen funkelnden Diamantkolliers und Diademen schlich sie sich an ihn heran und hielt ihm die Augen zu.
»Zarte, weiche Hände«, rätselte er, »ein paar Tropfen Vanilleparfüm an den Gelenken. Das kann nur Rumus sein.«
Er drehte sich um und tat überrascht, als er Mion erkannte.
»Wer ist Rumus?«, fragte sie grinsend.
»Bildhauerlehrling. Männlicher Typ. Wie geht es dir?«
»Gut! Und dir?«
Die Frage schien überaus berechtigt, da Atlas von einer Sekunde zur anderen leichenblass wurde. »Sie trägt mein Kleid.«
Mion drehte sich um und entdeckte Faunia in der Menge. Gelangweilt ließ sie den Blick über die prunkvollen Schmuckstücke schweifen, während ihre Finger an den Pfauenfedern ihres dunkelgrünen Gewandes zupften.
»Ein hübsches Kleid«, meinte Mion.
»Natürlich ist es hübsch«, murmelte Atlas wie verzaubert. »Ich habe es geschneidert. Ich meine, sie trägt es. Das ist ein Zeichen, sie hat es meinetwegen an! Ich sollte sie ansprechen. Nein, erst den Blickkontakt abwarten. Oder hat sie mich schon gesehen? Ich habe sie ja jetzt erst entdeckt, vielleicht hat sie mich also schon bemerkt, bevor ich sie gesehen habe, und sieht deshalb jetzt weg... Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden. Mion, entschuldige mich.« Er klopfte ihr militärisch auf die Schulter und bahnte sich einen Weg zu Faunia vor.
Irgendwie konnte Mion nicht beobachten, wie er sie ansprach - vielleicht weil sie ahnte, wie es ausgehen würde -, darum drehte sie sich um und widmete sich wieder dem ausgestellten Schmuck.
Kaum eine halbe Minute später kehrte Atlas zurück. Wortlos wischte er sich mit einem Taschentuch Wein aus dem Gesicht. Mion beschloss, nicht nachzufragen.
»Ähm. Ich glaube, sie ist in jemand anderen verliebt«, versuchte sie.
Atlas machte eine Miene, als hätte er in eine verfaulte Kartoffel gebissen. »Großartig. Fast hätte ich mich damit abgefunden, dass sie herzlos ist.« Griesgrämig wrang er das Taschentuch aus. »Und wer ist der strahlende Sonnenkönig?«
Mion überlegte, ob sie Atlas davon erzählen sollte, schließlich kannte sie ihn kaum. Aber andererseits sehnte sie sich schon viel zu lange danach, jemandem alles anzuvertrauen. Und sie war Faunia nichts schuldig.
Als sie verriet, in wen Faunia verliebt war, riss Atlas die Augen auf.
»Ihr Meister!«
»Schsch, nicht so laut!«
»Verzeihung, ich... na ja. Ich vergaß, dass ihr Meister ja nicht ihr Vater ist. Trotzdem...«
»Du sagst es aber niemandem!«
Atlas lächelte schief. »Es sind schon so viele böse Gerüchte über Meister Jagu im Umlauf, ich glaube, ich
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