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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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einen Schluss zog.
    »Ich weiß, dass du Faunia magst«, fuhr sie rasch fort. »Aber sie war doch schon mehrmals zur Sommersonnenwende im Palast und ich noch nie. Ich würde die Drachen so gerne mal sehen... Ich kann dich auch bezahlen: zweitausend Gulden.«
    Er grinste breit. »Für Freunde mit zweitausend Gulden tut man doch alles.« Er wies die Treppe hinauf und sie gingen in seine Arbeitsräume. Es waren schlichte Zimmer mit großen Fenstern. Hohe Regale bedeckten die Wände, in denen Stoffballen über Stoffballen lagerten. Holzpuppen standen überall; an manchen waren Stoffe angesteckt, die die Kleiderkunstwerke erahnen ließen, die sie einmal werden würden. Auf einem wuchtigen Arbeitstisch lagen Skizzen, Kreide, Maßbänder und Nähzeug.
    »Das meiste hier sind Aufträge von Meister Icastoba, die ich zu Ende bringen soll«, erklärte Atlas nachlässig. »Aber die Entwürfe da, die habe ich gemacht...«
    Mion hatte die Blätter schon zur Hand genommen. Wagemutige Roben waren abgebildet, riesige bauschige Ärmel und Röcke, in denen Mion sich unmöglich einen atmenden Menschen vorstellen konnte.
    »Und, was sagt der Lehrling eines Malers dazu?«
    »Das ist richtig gut«, sagte Mion ehrlich. »Wie... wie Traumbilder.«
    Zufrieden nahm Atlas das Maßband vom Tisch und begann, sie abzumessen, ohne um Erlaubnis zu bitten. »Das wollen die Drachen ja: die Wirklichkeit wie einen Traum erscheinen lassen.«
    Nachdenklich blätterte Mion durch die Skizzen. »Hast du denn schon mal einen Drachen... nun...«
    »Abgemessen wie dich?«
    »Ausgeforscht wäre wohl die bessere Bezeichnung - wozu brauchst du denn den Umfang von meinem Hals, um Himmels willen? Für den Henker?«
    Atlas ließ das Maßband sinken und sah sie an. Wieder war da dieser Blick, der tiefer zu dringen schien, als Mion lieb war.
    »Das ist das erste Mal, dass dir ein Kleid geschneidert wird, oder?«
    »Das geht dich nichts an«, erwiderte Mion kühl, lächelte aber dann und wandte sich wieder den Zeichnungen zu. »Also, das hier finde ich schön.« Sie hielt die Skizze eines karmesinroten Kleides empor, so raffiniert und elegant wie die Flügel eines Schmetterlings.
    Aber Atlas schüttelte entschieden den Kopf. »Das steht dir nicht. Du solltest etwas in zartem Grün tragen, bei deinen Haaren. Außerdem denke ich an einen Schnitt, der deine Schultern schmaler macht und den Hals betont. Und keine zu hoch gesetzte Taille, sonst wirkst du noch größer.«
    Sie verzog die Augenbrauen. »Danke, ich fühle mich wie ein Gorilla.«
    Er kicherte. »Als Schneider muss man sich immer vornehmen, aus einem Gorilla einen Schwan zu zaubern.« Er fuhr fort mit seinen Messungen und Mion streckte gehorsam die Arme aus. »Das klingt, als würden wir versuchen, jemanden hinters Licht zu führen.«
    »Natürlich«, sagte Atlas leichthin. »Kunst ist nichts als wunderschöne Lügen über die gräuliche Wahrheit.«
    Nachdem Atlas sämtliche Details ihres Körpers erforscht und fein säuberlich in ein Büchlein notiert hatte, prüften sie verschiedene Stoffe. Mion hätte nie für möglich gehalten, wie viele es gab und wie entscheidend die Auswahl für ein Kleid sein konnte. Von schwerem Brokat und wolkenweichem Samt bis hin zu hauchfeinem Tüll zeigte Atlas ihr alles, was es gab, und erzählte ihr, welcher Stoff wie benutzt wurde. Zuletzt entschieden sie sich für einen leichten Seidenstoff in leuchtendem Smaragdgrün, den Mion gar nicht aus der Hand geben wollte, so weich fühlte er sich an. Dazu wählte Atlas feine schwarze Spitze für die Ärmel und den Ausschnitt.
    »Macht ihr die Stoffe denn auch selbst, dein Meister und du?«, fragte Mion, die sich noch immer nicht von der Seide losreißen konnte. Atlas warf ihr einen befremdeten Blick zu.
    »Selber machen? Wir sind Künstler. Die Stoffe werden teuer gekauft. Die Seide zum Beispiel kommt den weiten Weg aus Whalentida.«
    Mion nickte langsam. Atlas starrte sie an. »Bei allen Drachen. Du weißt gar nicht, wo Whalentida ist.«
    Genau genommen kannte Mion noch nicht einmal den Namen. Sie zuckte unsicher die Schultern. Kurzerhand packte Atlas sie am Arm und zog sie aus dem Zimmer, hinaus in den lichtdurchfluteten Korridor und vor eine fein gezeichnete Landkarte, die an der Wand hing.
    »Hier ist Wynter«, sagte er und deutete auf einen unförmigen Umriss im Norden. »Da liegen die Provinzen, hier Kossum, da die Geschwisterstaaten... und hier, an der Küste, das ist Whalentida, Königreich der Menschen und des Handels.«
    Mion

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