Rabenmond - Der magische Bund
gelangen konnte.
Als sie fertig war, betrachtete sie ihr Spiegelbild. Kurz erkannte sie das Mädchen darin, das vor langer Zeit zum ersten Mal in einen Spiegel blickte. Wie sehr hatte sie sich verändert.
Klopfenden Herzens ging sie hinunter in die Eingangshalle. Sie konnte nicht aufhören, ihren Rock zu befühlen, die feine Spitze, ihre Frisur.
Bei der Haustür wartete bereits Faunia. Sie war in ein blassblaues Kleid gehüllt, das vor Perlen nur so strotzte. Auch in ihrem Haar glänzten Perlen, und an ihren Ohren und an ihrem Hals - selbst ihre Schuhe, aus perlmuttfarbener Seide, waren damit verziert. Sie sah aus wie einer Riesenmuschel entschlüpft, wie eine größenwahnsinnige Nymphe. Ihr Gesicht, gepudert und von kleinen blonden Löckchen umspielt, wirkte zwischen dem Geglänze trotz allem schöner denn je.
Stumm maßen sie einander wie zwei Fata Morganas, die am gleichen Fleck in Erscheinung treten wollen. Dann entdeckte Faunia das Halsband.
»Das gehört mir«, hisste sie und kam näher.
Mion wich zurück. »Meinetwegen, wenn Jagu mich nicht mitnimmt, kannst du es wiederhab-« Mion stieß einen Schrei aus. Völlig unerwartet hatte Faunia ein schmuddeliges Glas hinter dem Rücken vorgeholt und über sie geschüttet: Stinkendes braunes Terpentin besudelte den Spitzenstoff ihres Ausschnitts. Fassungslos starrte sie an sich hinab. Das Kleid. Das Werk, in das Atlas so viel Mühe gesteckt hatte. Ruiniert.
Ohne viel Zögern schlug sie Faunia die Faust ins Gesicht.
Faunia taumelte zurück, doch sie unterdrückte jeden Schmerzenslaut. Das Glas fiel ihr aus der Hand und zerbrach auf dem Fußboden. Eine Sekunde später hatte sie sich auf Mion gestürzt.
Problemlos wich sie ihrem Fausthieb aus, der, selbst wenn er gut gezielt gewesen wäre, recht schwächlich aussah. Aber Faunia war nicht zu unterschätzen. Mit verkrampften Fingern warf sie sich erneut auf Mion und diesmal bekam sie ihr Kleid zu fassen. Erbarmungslos riss sie die Spitze vom Oberteil.
Mion setzte sich zur Wehr. Irgendetwas zerriss und fiel unter ihrem Griff, dann versuchte sie, Faunia wegzustoßen, verpasste ihr erneut einen Kinnhaken, wand sich und trat. Stöhnend fielen beide zu Boden und nun kratzten, schlugen und boxten sie ohne Rücksicht.
Es war der härteste Kampf in Mions Leben. Sie hatte schon einige Prügeleien erlebt, gegen Jungen, zu mehreren manchmal, aber das alles war nichts gegen diesen Kampf. Faunia riss ihr ein Büschel Haare aus, kratzte ihre Schulter blutig und stieß ihr eine Faust in den Magen. Der Schmerz machte sie blind. Sie wollte sie töten, eine von ihnen musste sterben!
Dann traf ihre Faust etwas anderes als Faunias zähen Körper, etwas Größeres, Weiches. Im selben Moment zerrte jemand sie am rechten Arm. Es war die Köchin.
»Aufhören! Seid ihr verrückt?! Hört auf!«
Keuchend ließ Mion sich zurückziehen. Jagu war aufgetaucht und hielt Faunia fest. Die ganze Eingangshalle schien plötzlich von Menschen erfüllt, dabei waren nur die Köchin, Jagu und das Dienstmädchen da.
»Zum Henker!«, schrie die Köchin. »Rauswerfen sollte man euch!«
Mion erwiderte Faunias glühenden Blick. Erst jetzt merkte sie, dass sie ihr eindeutig schwerer zugesetzt hatte als Faunia ihr; sie blutete aus Nase und Mund und zitterte stark. Hätte Jagu sie nicht gepackt, wäre sie wohl zu Boden gesunken - oder hätte Mion erneut angegriffen. Ihr prachtvolles Kleid war an mehreren Stellen zerfetzt. Auch ihre Frisur, für die sie bestimmt Stunden gebraucht hatte, war dahin.
Mion sah nur wenig besser aus. Die gesamte Spitze, die ihr Oberteil und die Ärmel so fein bedeckt hatte, hing in Stücken herab. Faunia hatte ihr die Halskette abgerissen und Mion fühlte warmes Blut den Nacken hinabrinnen.
»Was ist passiert?«, fragte Jagu kalt.
»Sie hat angefangen!«, schrie Mion. »Ist ja kein Geheimnis, dass sie spinnt!«
Faunia brach in rasselndes Lachen aus. »Miststück! Miststück !« Sie wand sich in Jagus Griff und klammerte sich plötzlich an ihn. »Wirf sie raus, Jagu! Nimm mich mit... Ist es nicht schön, das Kleid... sie hat es ruiniert, aber es ist immer noch schön, nicht wahr? Sag doch, dass es dir gefällt!« Sie lachte und weinte und schnappte nach Luft.
»Beruhige dich.« Er zog ein Taschentuch aus seinem Wams und tupfte ihr das Blut von der Nase. Mion machte sich von der Köchin los und strich sich wütend die Haare aus dem Gesicht.
»... Nein, gebrochen ist sie nicht, zum Glück. Ist sonst noch etwas?« Vorsichtig
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