Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
sondern ihre Macht auskosten bis zur letzten Konsequenz. Sie übertraten jedes Gesetz, konnten jedoch nicht bestraft werden. Kein Gefängnis konnte sie einsperren, keine Gewalt einschüchtern, es sei denn, man verurteilte sie zum Tod. Zwar konnte der Tod die gefährlichen Schwarzen nicht davon abhalten, sich selbst zu überleben und in die Wüstenstadt zurückzukehren. Doch in einem solchen Fall wäre ihr aufmüpfiger Verstand infolge des Todes mit Vergessen gestraft worden.
Die Frau des grauen Regenten setzte sich für die Rebellen ein: Sie veranlasste ihren Mann, mit den Gesetzesbrechern milde zu verfahren. Sie wollte, dass ein Weg gefunden werde, der den Schwarzen alle Freiheit ließ, ohne dass die Stadt gefährdet wurde. Der Regent rief die Mächtigen zu einem neuen Rat zusammen, doch eine Einigung schien unmöglich. Weiße und Graue verlangten weiterhin, dass die Schwarzen ihre Macht selbst begrenzten. Die Mehrheit der Schwarzen erklärte sich dazu bereit. Die Rebellen jedoch stiegen auf die Tische und drohten an, die Regierung zu übernehmen, falls ihren Forderungen nicht nachgegeben werde.
Um dies zu verhindern, erklärten die Mächtigen den Rebellen den Krieg: Alle Rebellen sollten sterben, da dies der einzige Weg zu sein schien, sie zu kontrollieren. Einige Tage verharrte die Stadt im Ungewissen, ohne dass etwas geschah. Die Mächtigen wagten nicht, loszuschlagen. Die Rebellen warteten darauf, freigesprochen und ins Recht gesetzt zu werden. Bis etwas geschah, das allen Bewohnern der Stadt die Fassung raubte: Die Frau des Regenten wurde auf offener Straße ermordet.
Jede Seite beschuldigte die andere, es getan zu haben, und der Krieg begann. Viele schwarze Rebellen wurden getötet, die Überlebenden wehrten sich mit übermenschlichen Kräften. Ein Beben begann die Stadt zu erschüttern. Es wurde stärker, die Wände der Häuser zerfielen zu Sand, der Boden sackte in die Tiefe. Schließlich fiel die unterirdische Stadt donnernd in sich zusammen, es regnete Steine vom Himmel. Die Menschen reisten ab, Bolhin wunderte sich, wohin. Nur noch Schwarze rangen mit den stürzenden Steinen und kämpften gegeneinander: Rebellen gegen Gesetzestreue. Ein letzter lauter Schlag riss die Überreste der Stadt auseinander. Ein mächtiger Graben klaffte auf einmal in ihrer Mitte und wurde immer größer. Auf der einen Seite des Grabens standen die Gesetzestreuen, auf der anderen, auf Bolhins Seite, der letzte Überlebende der Rebellen mit seinen Anhängern. Die Seiten trieben auseinander und in der Tiefe des Grabens sah Bolhin die Sterne aufleuchten. Er traute seinen Augen nicht, glaubte, das Ende der Welt sei gekommen. Seine Beine gaben nach, er sank zu Boden, doch der letzte Rebell der Schwarzen ergriff seinen Arm. ‚Komm mit uns’, bot er an.
Bolhin war zu schwach, um zu laufen. Kaum bei Bewusstsein merkte er, wie er von einem anderen Mann hochgehoben und auf dessen Rücken gezogen wurde. Obwohl er nur eine Last war, trugen sie ihn durch den Wüstensand, der so heiß war, dass er an einigen Stellen schmolz. Übel riechende Dämpfe stiegen auf, der geschmolzene Sand bildete grau Pfützen, die zu giftigen Teichen anschwollen.
Der Schwarze und seine Anhänger wanderten Tag und Nacht. Als sie endlich sauberes Wasser fanden und die Luft nicht mehr stank, war Bolhin schwer krank und hatte Fieberträume. Sie schleppten ihn weiter mit sich und pflegten ihn an einem Ort gesund, den Bolhin nie mit eigenen Augen sah. Denn er erreichte ihn schwer krank, verbrachte seine Zeit dort in einem dunklen Raum, durch dessen Fensterläden nur ganz schmale Streifen von goldenem Sonnenlicht sickerten, und verließ ihn tief schlafend. Es wurde ihm aber später gesagt, dass dieser Ort so schön gewesen sei wie ein ewiger Sommer. Leider hatten sie nicht bleiben können, da sich die Zerstörung tiefer und tiefer ins Land hineinfraß. Sie warnten alle Bewohner und nahmen sie mit sich, wohl wissend, dass das Land des Sommers untergehen würde und dass es viele Generationen dauern würde, bis dort wieder etwas wuchs.
Der weitere Werdegang von Bolhin war nicht interessant. Er trennte sich von seinen Rettern. Denn der Schwarze und seine Gefolgschaft mussten untertauchen und sich verstecken, da die Grauen und die Weißen Jagd auf ihn machten. Sie gaben ihm die Verantwortung für den Untergang der Wüstenstadt, für den Riss, den die Zerstörung der Erde zugefügt hatte, und das Gift, das nun aus dem Erdinneren trat und weite Landstriche unbewohnbar
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