Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
regierte, war vom Ende bedroht. Was sollte da ein kleiner König eines kleinen Landes klagen? Er hatte kein Recht dazu.
Dann kam der Feind, der wirkliche Feind, der von Gespenstern angeführt wurde, und zerstörte das Land. Überall war Krieg und der König, da ihm nichts anderes übrigblieb, zog sich an den sichersten Ort zurück, den es noch gab. Die Burg Trotz am Rande Feuersands, umgeben von Tausenden und Abertausenden Soldaten der Hochwelten. Zum Nichtstun verdammt brachte Nada die Tage in der alten Burg zu und wunderte sich, warum er all die Jahre fast bewegungsunfähig umhergeschlichen war, niedergedrückt von der Schwere seines Körpers. Es hatte sich gezeigt, dass Nada immer noch erstaunlich stark war, nachdem er mal etliches seines Körperfetts verloren hatte. Die neue Beweglichkeit nutzte ihm aber nichts mehr. Er saß fest, starrte Tag für Tag aus den Fenstern seiner Burg, nachdenklich. Was er auch im Leben hätte besser machen können, nichts hätte diesen Zustand, dieses Endstadium aller Dinge verhindern können. Zu diesem Schluss kam er immer wieder. Was in den Welten vorging, war zu groß für ihn. Es reichte nicht, ein Riese zu sein. Er war nicht dazu geboren, den Lauf der Welten zu ändern.
Krankheit, Hunger, Krieg – sie hatten ihn davor bewahrt, in der Burg Trotz begraben zu werden. Denn in dieser Nacht, da die Welt unterging, war Trotz eingestürzt, als bestünde es nur aus lose aufgetürmten, dünnen Brettchen. Als Nada, im Wohnraum stehend, die erste Erschütterung verspürt hatte, war er gerannt. Ohne nachzudenken. Früher hätte er es höchstens bis zur ersten Stiege geschafft. Jetzt, dank seiner wiedergewonnenen Kräfte, hangelte und rutschte er die steilen Treppen hinab und rannte zum großen Tor hinaus, unmittelbar bevor die ganze Burg in sich zusammensackte. Dann warf er sich auf den Boden und hielt alles aus, was auf ihn herniedersauste.
Ein ganzer Berg aus Gerümpel musste sich schon über Nada angesammelt haben, als die Erde sich beruhigte und auch sonst alles still wurde. Seltsam still. Vereinzelt schlug noch etwas auf dem Boden auf, hier und da lösten sich Steine und rollten auf andere Steine. Aber sonst? Unter Nada brummte es. Immer leiser. Tief. Eine Erde, die schmollte, sich zusammenrollte und wieder einschlief, vielleicht für die nächste Ewigkeit. Nada verstand es nicht. Er war nicht tot – und die Welt war noch nicht untergegangen. Oder doch? Bildete er sich nur ein, noch am Leben zu sein? Nein, er fühlte sich viel zu kraftvoll, um tot zu sein. Noch nie hatte er so viel Leben in sich gespürt. Sein Herz schlug mächtig. Er bewegte sich.
Alles Mögliche rollte, schlitterte, kullerte geräuschvoll von ihm hinab, je weiter er sich aufrichtete. Der König erhob sich aus einem Meer von Schutt, in schwarzer, nein, erdbrauner Nacht. Er hustete, so viel Staub war in der Luft. Aber es wurde besser. Der Staub lichtete sich langsam, man konnte ihm dabei zusehen. Nada ahnte es mehr, als dass er es wirklich sah: Es dämmerte. Es gab so etwas wie Zwielicht.
Nachdem er eine ganze Weile so gestanden und das schwache Licht bestaunt hatte, tat er den ersten Schritt. Unsicher noch, denn lose und unwegsam war der Grund. Doch nachdem er sich mal an diese Unzuverlässigkeit des Bodens gewöhnt hatte, kam er gut voran. Immer wieder hielt er inne und lauschte. Hier mussten doch überall Menschen sein. Warum hörte er niemanden? Fast überkam ihn die Angst, er könne der einzige Überlebende sein, doch seine Vernunft verbot ihm, dieser Vorstellung nachzugeben. Hier gab es Menschen, ganz bestimmt. Verletzte, die womöglich Hilfe brauchten. So irrte er umher, während es langsam heller wurde. Ein bräunlicher Nebel lag über den Trümmern, die Sicht reichte nicht weiter als fünf Schritte.
Da – das waren mal die Grundmauern von Trotz gewesen, Nada erkannte sie gleich. Sonst gab es keine Gebäude hier. Er musste im Kreis gegangen sein und war dort gelandet, wo er losgegangen war. Er lachte leise und hörte seine eigenen Stimmbänder brummen. Dann setzte er sich auf ein großes Stück Stein, das der Himmel herabgeschleudert haben musste, denn so einen Stein hatte Nada hier noch nie gesehen. Er war so viereckig, als wäre er von kunstfertigen Händen in diese unnatürliche Form geschlagen worden.
„König Nada?“, rief ein brauner Schatten, der aus dem schmutzigen Nebel auftauchte.
„Ja, hier bin ich“, antwortete Nada und versuchte etwas zu erkennen. Ein antolianischer Soldat stand vor
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