Rabenschwarz
Chlor hing in der Luft. Eine Hinweistafel aus Plexiglas trug die Aufschrift Schwimmbad .
»Hier entlang«, sagte Faßbender verbindlich und lächelte ölig. Sie durchschritten zwei Feuerschutztüren, die Faßbender jedes Mal umständlich mithilfe eines der zahlreichen Schlüssel des klimpernden Schlüsselbundes aufschloss. Für diese Türen gab es keinen Generalschlüssel. Es wurde kühler.
»Bisschen warm hier«, scherzte Herbie, um nicht in den Verdacht zu geraten, urplötzlich einen Kurzschluss im Sprachzentrum erlitten zu haben.
Faßbender hielt in seinem schnellen Schritt inne, sah ihn erstaunt an und sprang zu einem Thermometer, das zufällig in ihrer Nähe an der Wand hing. »Donnerwetter«, hauchte er verblüfft, »Sie haben’s aber wirklich im kleinen Finger, Lohse! Acht Komma fünf. Genau ein halbes Grad zu viel! Da muss ich diesen Idioten sofort Bescheid stoßen, die sich hier um die Heizung kümmern sollen.«
Sie erreichten eine Kehre in dem weiß getünchten Flur, die zu einem Durchlass führte, hinter dem es noch dunkel war. Faßbender betätigte einen Drehschalter, und die Räumlichkeit, die im Nu in gelbliches Licht getaucht wurde, verfehlte ihre Wirkung auf Herbie nicht. In vier Reihen unterteilt, war der Raum mit lückenlos gefüllten Weinregalen aus Holz bestückt. Das Licht durchdrang, je nach Einfallswinkel, die Flaschen im Regal und malte grün schimmemde Flecken auf den groben Steinboden.
Faßbender schmunzelte. Die sich rötenden Apfelbäckchen seitlich seines Schnurrbartes sahen albern aus und wollten so gar nicht zu dem Aristokratengesicht passen.
Dieser Mann wirkt auf unangenehme Weise unecht. Sein vornehmes Gehabe ist einstudiert, sein Schliff wirkt aufgesetzt. Aber sein Weinkeller scheint eine kleine Sensation zu sein . Julius nickte anerkennend.
»Nichts Sensationelles«, stapelte Faßbender tief und lockte Herbie in den Raum hinein. »Was hier liegt, ist junges Gemüse. Maximal dreißig Jährchen alt. Feine Sachen darunter, gewiss, aber alles sehr jung.« Während sie eine Reihe der Länge nach durchschritten und auf eine weitere Türe am anderen Ende des Raumes zusteuerten, deutete Faßbender hierhin und dorthin und sagte Dinge wie: »Wunderbarer, fetter Barolo« oder »Burgunder, Montlouis 1992. Auch nicht zu verachten« und »1985er Chambertin. Für den, der’s mag.« »Dahinten habe ich meine Kalifornier«, rief er und wies mit dem Zeigefinger in eine andere Ecke, während er erneut mit dem Schlüsselbund rasselte, um die nächste Türe zu öffnen.
»Raus mit der Sprache, Lohse. Jemand wie Sie, ein echter Kenner der Weinkunst, der steigt in unserem kleinsten Zimmer ab. Da ist doch was faul!« Er blickte Herbie herausfordernd ins Gesicht. »Ich meine, es ist nicht an der Tagesordnung, dass wir in unserem Zimmer 317 Leute beherbergen, die sich zum Essen mal eben zwischendurch ein Fläschelchen für tausendeinhundert Mark gönnen.«
Herbie schluckte.
Eintausendeinhundert. Prost. Jetzt heißt es, Contenance bewahren! Julius schluckte ebenfalls.
Herbie überlegte fieberhaft, dass es nun in zweierlei Hinsicht ratsam war, einen kühlen Kopf zu bewahren: Er durfte sich keinesfalls wegen einer Getränkerechnung in der Höhe von anderthalb Monatsmieten für seine Euskirchener Wohnung und wegen ihrer Wirkung auf die Spenderin Henriette Hellbrecht von einer namenlosen Panik erfassen lassen. Er durfte aber auch nicht seine Maske vor diesem Faßbender lüften. Dann wäre seine Nummer durchschaut.
»Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können, lieber Herr Faßbender ...«, begann er, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben, was er erzählen sollte, und endete: »... manchmal möchte man einfach aus seiner Haut raus. Mal ganz wer anders sein.«
Faßbender nickte wissend. »Hab ich mir gedacht. Lohse und Brackhagen Pharmazie, Bochum, stimmt’s?«
Wahrscheinlich Psychopharmaka. Passt zu dir, Verehrtester .
Automatisch nickte Herbie. »Wir wollen aber nicht ins Detail gehen.«
»Natürlich, natürlich. Sie wollen unbehelligt bleiben. Keine Sorge: Faßbender sieht nichts, hört nichts, sagt nichts!« Albern ahmte er die drei Affen nach. »Aber was wäre so ein Dasein im Inkognito, wenn man auf das Lebensnotwendige verzichten müsste.«
Für einen Moment wollte Herbie ein fragendes Gesicht aufsetzen, aber Julius dröhnte: Wein natürlich, du Trottel!
»Eine Flasche guten Wein«, plapperte Herbie nach.
»Sie sprechen mir aus der Seele, Verehrtester.« Und mit pompöser
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