Rabenschwarz
suchte die Regale nach etwas Bestimmtem ab. »Friederike Honert. Hässlich wie die Nacht. Wo haben Sie sie gesehen?«
»Sie hat uns ... hat mich auf das Zimmer gebracht.«
Faßbender schimpfte: »Die dusselige Kuh soll doch hinter den Kulissen bleiben! Die verscheucht mir doch nur die Gäste!« Er war fündig geworden. »Nein, im Ernst. Fritz, so nennt sie jeder, ist eine echte Katastrophe. Irgendwann wird die gewippt. Solche Gesichtsbaracken kann sich ein Haus wie das meine nicht leisten. Die ist eingestellt worden, als ich in London auf der Versteigerung war. Hier ...« Er ging auf eine Holzkiste zu, die im Halbschatten an der Wand stand, zauberte von irgendwoher einen Schraubenzieher und hebelte den Deckel ab. Die Flaschen darin sahen nagelneu aus. »Gehört eigentlich nicht hier zu den Altweinen, ist aber eins meiner echten Schätzchen: 96er Kidricher Gräfenberg, Trockenbeerenauslese. Robert Weil.« Er drehte sich, in der Hocke verharrend, zu Herbie um und lächelte triumphierend. »Goldkapsel!« Faßbender sprach das Wort ganz langsam aus, um ihm den rechten Klang zu verleihen. »3150 Mark die Flasche, bei Sotheby’s!«
»Fritz fällt wirklich durch jedes Raster, wenn man nach optischen Gesichtspunkten vorgeht.« Herbie war begierig, mehr zu erfahren.
»Stimmt! Sonst suche ich die Mädels selber aus. Die müssen nicht nur was leisten können, die müssen auch meinem Geschmack entsprechen. Ich nasche nämlich gerne, wissen Sie?« Der schmierige Unterton wurde unüberhörbar. »Ich bin ein unverheirateter Mann, Lohse, und Dienstmädchen sind nun mal dazu da, gewisse Dienste zu leisten, verstehen Sie?« Er zwinkerte mit einem Auge und entkorkte eine Flasche, die er aus dem Regal gezogen hatte. Herbie musste an der Öffnung des Flaschenhalses riechen und beschränkte sich erneut auf ein genießerisches »Hm«.
Gut so. Mach so weiter. Das kommt ganz gut an .
»Fritz ...«, fuhr Faßbender fort, »Fritz ist mal hereingeschneit, als ich mir gerade die kleine Inge vom Küchenpersonal so ein bisschen vorgeknöpft hatte. Das blöde Gesicht hätten Sie sehen sollen!« Glucksend wurden die beiden Gläser mit einem weiteren Rotwein gefüllt, der im Halbdunkel aussah wie schwarzes Blut. »Aber das Gesicht wurde noch mal so blöd, als ich gesagt habe: ›Scher dich raus! In den Genuss kommst du nicht! Du bist mir viel zu hässlich!‹ « Er brüllte los vor Lachen, und Herbie nahm pflichtschuldig lächelnd das Glas entgegen, das Faßbender ihm reichte.
»Und jetzt der Test.«
Julius baute sich neben Faßbender auf, verschränkte die Arme, setzte, genau wie der Hausherr, einen abwartenden Gesichtsausdruck auf und sagte: Glaub mir, teurer Freund, ich bin genau so gespannt auf dein Urteil wie du selber .
Herbie führte mit zitternder Hand das Glas zum Mund, nippte an der Flüssigkeit und schmeckte Wein. Der Geschmack unterschied sich für seine Begriffe kaum von dem, was er vom Aldi her gewohnt war.
Er spülte den Schluck in seinem Mund hin und her. Er war versucht zu gurgeln, unterließ dies aber. Er zog Luft durch die Zähne, wobei er den Schluck Wein in der Nähe seines Zäpfchens im Munde stehen hatte. Er schluckte langsam, hielt das Glas gegen das spärliche Licht der Deckenlampe und pendelte albern damit herum. Dann schmatzte er noch einmal laut hörbar und sah Faßbender und Julius intensiv an. Ihre Blicke klebten an seinen Lippen.
»Die Temperatur ...«
»Viel zu kalt natürlich. Das ist klar. Wir hätten sie mit nach oben nehmen sollen.« Faßbender trank hastig, ohne den Blick von Herbie zu wenden.
»Das Bouquet ...« Herbie schnupperte an dem Glas.
»... kann sich natürlich so nicht entfalten. Wie wahr. Trotzdem: Versuchen Sie’s!«
Herbie machte ein weinerliches Gesicht. »Ich habe viele Weine angeboten bekommen. Ich weiß einen guten Tropfen zu schätzen. Aber das hier ...« Er stellte das Glas auf das kleine Schränkchen und versuchte, einen Blick auf das Etikett zu erhaschen. Unmöglich.
Der Wein musste alt genug sein, um ihn, den »Kenner«, beeindrucken zu können, das war klar. Er musste da durch.
»Das war ein einzigartiger Jahrgang ... Das Geburtsjahr meiner Großmutter. Das weckt Erinnerungen. Sie verzeihen, Faßbender. Meine Urgroßmutter mütterlicherseits hatte ihren Mann verloren ... im Krieg damals ... und dann dieser Neuanfang ... Die Krankheit von Tante ... Hedwig ... Wer konnte das denn alles vorher ahnen?« Herbie schniefte. Er kramte umständlich nach einem Tempotuch. Rechte
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