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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Kramp
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ohne einen Hauch von angeborenem Stil.
    * * *
    Es waren dieselben Buchstaben, ausgeschnitten aus Zeitungen. Anscheinend hatten auch ein paar Hochglanzjournale dran glauben müssen. In ihrer Hilflosigkeit hatte Henriette Hellbrecht den jüngsten Erpresserbrief, der das Datum der Lösegeldübergabe mitgeteilt hatte, wieder und wieder mit den aktuellen Ausgaben der   Gala   und der   Bunte   verglichen, und vor lauter Buchstaben schwirrte ihr der Kopf.
    Sie saß auf ihrem kleinen Telefonbänkchen und hatte den Blick leer und ausdruckslos auf einen riesenhaften Gobelin an der gegenüberliegenden Wand der Diele gerichtet.
    Was hatte ihr verblödeter Neffe ihr da eben am Telefon alles berichtet? Hundefänger-Mafia? Geldübergabe auf Parkplätzen? Konnte sie ihm das glauben? Hatte sie ihm jemals glauben können? Irgendetwas in seinem Gefasel hatte sie verunsichert. Vielleicht war es doch die richtige Entscheidung gewesen, ihn in dieses Hotel zu schicken. Wer wusste das schon? Ihr Blick fiel auf den leeren, kleinen Hundekorb in der Ecke neben dem Durchgang zum Wohnzimmer. Die mintfarbene Decke mit den weißen Fransen lag säuberlich gefaltet darin, und vielleicht würde sie nie mehr ... Das Wasser schoss ihr in die Augen, und die Hand verkrampfte sich um den kunstvoll geschmiedeten Metallgriff ihrer orientalischen Krücke. Wenn ihr Neffe Herbert diese Geschichte vermasselte, dann würde er seines Lebens nicht mehr froh werden! Das hatte sie sich in dem Moment geschworen, in dem er am Vorabend ihr Haus verlassen hatte. Wenn sie ihn doch nur unter Beobachtung gestellt hätte!
    Dann kam ihr der rettende Gedanke. Mit zittrigen Fingern tippte sie eine Euskirchener Nummer auf der Tastatur ihres Mahagonitelefons. Ihr Puls beschleunigte sich. Sie würde jemanden damit beauftragen, ihren Neffen rund um die Uhr zu beschatten. Jemanden, der ihren Neffen seit Jahren auf dem Kieker hatte. Genauer gesagt, seit Herbert in dieses Haus am Annaturmplatz in Euskirchen gezogen war, genau in die Wohnung über ihm. Jemanden, der, ähnlich wie sie selbst, unter den Spinnereien Herbert Feldmanns zu leiden hatte. Jemanden wie ...
    »Strecker.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang brummig. Sicherlich hatte Helmut Strecker bereits geschlafen. Sie versuchte, das Bild von Herberts Hausnachbarn in ihrem Gedächtnis wachzurufen. Sie sah den groß gewachsenen Mittfünfziger mit den drohenden schwarzen Augenbrauen und dem eisgrauen Bart vor ihrem geistigen Auge, wie er sich mit mürrisch verkniffenen Mundwinkeln über sein Telefon beugte.
    »Herr Strecker, hier spricht Henriette Hellbrecht. Es geht um meinen Neffen.«

Sechstes Kapitel
    Die Dunkelheit war undurchdringlich. Rabenschwarz. Als sie durch den Buchenwald huschten, schirmte das herbstliche Laubdach auch den letzten Rest Licht der Sterne und des mageren Neumonds ab. Herbie konzentrierte sich auf den hin und her schwankenden Lichtkegel der Taschenlampe etwa hundert Meter weiter vorne. Fritz oder Friederike, oder wie immer sie auch heißen mochte, legte eine ähnliche Geschwindigkeit vor wie am Nachmittag. Sie schien die Strecke ausgesprochen gut zu kennen. Zog man die Möglichkeit in Betracht, dass sie seit ein paar Tagen mehrmals täglich hier durchhastete, um einen entführten Hund zu füttern, war dies sogar als weiterer Beweis zu werten.
    Herbie spürte den Wein, der seinen Schädel in einen Dampfkessel verwandelt hatte. Im nächsten Augenblick trat er in einen Haufen feuchtes Laub, sein rechter Fuß verlor den Halt und schoss in die Höhe, während der Rest des Körpers einen Sturzflug in die Schwärze des Waldbodens antrat.
    Ich dachte, diesmal würdest du es wenigstens an deinem Steinbruch vorbei schaffen .
    Aus seiner Position heraus glaubte Herbie bei Julius’ schemenhaftem Schattenriss ein Kopfschütteln zu erkennen.
    Als er bemerkte, dass das Leuchten der Taschenlampe sich in der Dunkelheit verlor, sprang er auf die Füße und stolperte weiter nach vorne.
    »Diesmal erwischen wir sie!« Er begann zu keuchen.
    Als sie den Feldweg erreichten und das Blätterdach hinter sich ließen, halfen ihnen die Sterne am glasklaren Nachthimmel ein wenig bei der Orientierung.
    Sie passierten das Hinweisschild des Steinbruchs, und nur für einen Moment wandte Herbie den Kopf, aber da war nichts außer der Schwärze des Tales, das hinter dem Abhang zu erahnen war. Dieses Mal würde er sich nicht beirren lassen! Sie holten auf. Die junge Frau wurde langsamer, was angesichts der

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