Rabenschwarz
freiräumte, war leergebrannt. So begann er, stichprobenartig den Raum auszuleuchten.
Ein Rahmen an der Wand auf der Bettseite enthielt inmitten eines vergilbten Passepartouts, das übersät war von toten Gewittertierchen, eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie. Eine Gruppe steif gekleideter Männer posierte lachend vor der Eingangstreppe der Dorfkneipe Zum Ruppertsnück . Der Bildunterschrift zufolge handelte es sich um die Gründungsmitglieder des Männergesangvereins Buchscheid 1956 e.V.
Dann gab es da noch ein Poster, das mit Tesafilm an der weiß getünchten Wand festgeklebt war. Die Falze im Papier und die winzigen Heftklammerspuren zeigten, dass die Fotografie des Fuchses im Schnee einst Beilage in irgendeiner Tierzeitschrift gewesen war. Der Tierfreund , Herbie fand seine Vermutung am unteren Rand des verblichenen Drucks bestätigt.
Dann erschrak er höllisch. Ein ausgestopfter Marder oder Iltis oder was auch immer starrte ihn von einem Regal an. Verstaubt und zottelig fristete er sein Dasein zwischen einem Stapel locker zusammengefalteter Hemden und ein paar Flaschen Wein. Herbie atmete tief durch, und Julius sprach tröstende Worte: Keine Angst, der tut nichts. Der spielt nur .
Was er dann entdeckte, überraschte beide. Im flackernden Schein des Einwegfeuerzeugs, dessen Metallteile bedrohlich heiß wurden, fand Herbie zwischen einem Frühstücksbrettchen und einer Hornbrille auf dem Tisch einen Zettel mit einer Telefonnummer. Er war in eine transparente Klebefolie eingebunden, so, als sei er besonders wichtig und notwendig. »Aber er hat doch gar kein Telefon.« Staunend nahm er den Zettel in die Hand. Gleichzeitig rutschte sein Daumen vom Gasknopf des Feuerzeugs, er berührte den glühend heißen Metallkopf und ließ instinktiv die einzige Lichtquelle fallen.
»Verfluchter Mist!«, schimpfte er und lutschte auf dem Daumen herum. Um ihn herum war wieder tiefe Dunkelheit.
In diesem Moment hörten sie ein leises Bellen. Sie hielten beide in ihren Bewegungen inne und lauschten in die Stille hinein.
Herbie stürzte zur Hintertüre und drückte sie einen Spalt weit auf. Da erklang das Bellen erneut. Es war leise, entfernt, aber dennoch typisch kläffend und aggressiv. Herbie strahlte. »Das ist Bärbelchen!« Angestrengt lauschte er und versuchte, die Richtung, aus der es kam, zu deuten. Zu seiner Überraschung schien es aus dem Tal zu kommen, das sich nicht weit hinter dem Schuppen auftat. Und mit einem Mal konnte er auch die Umrisse eines hölzernen Geländers erkennen, das nur etwa hundert Meter hinter dem kleinen Holzschuppen, den er eben inspiziert hatte, in die Tiefe des Scheebenbachtales hinabführte. Da war sie also hinuntergegangen. Sie hatte nur das Grundstück überquert und war dann an diesem Geländer entlang hinabgestiegen.
Ein erneutes hektisches Kläffen ertönte.
Die Kidnapper machen vielleicht gerade eine Tonbandaufnahme für deine Tante. Der Hund kläfft die Schlagzeilen der heutigen BILD- Ausgabe, zum Beweis, dass er noch lebt .
Plötzlich schepperte es. Jemand war, genau wie Herbie vor wenigen Minuten, über den Hühnerzaun gestrauchelt.
Instinktiv trat Herbie zurück in die Hütte, und als sich langsame Schritte näherten, blickte er sich panisch in dem dunklen Raum um und sah schließlich keinen anderen Ausweg, als sich unter dem Bett zu verbergen. Er bereute es in dem Moment, in dem er mit dem Kopf in ein dichtes Netz von Spinnweben hineinrutschte. Mit der Rechten ertastete er etwas Kleines, Hölzernes, das sich als Mausefalle entpuppte, in der zu seinem namenlosen Entsetzen schon seit geraumer Zeit eine Maus still vor sich hinmoderte. Er krümmte sich angeekelt in seinem engen Gefängnis. Neben ihm erahnte er im Dunkeln die Gesichtszüge Julius’, und er fragte sich, wie schon so oft zuvor, wie es diesem fetten Kerl gelingen konnte, sich in eine solch kleine Räumlichkeit zu zwängen. Nett hier , brummelte Julius und seufzte tief.
Die Türe öffnete sich.
* * *
Keine drei Kilometer entfernt steuerte Helmut Strecker seinen Peugeot eine enge Serpentinenstraße den Berg hinauf. Lauthals fluchte er vor sich hin. Nicht einmal die geballte Duftladung des kleinen violetten Jasmin-Duftbäumchens, das er sich in der Tankstelle in Esch gekauft hatte, konnte ihn besänftigen. In aller Eile hatte er ein paar Sachen zusammengepackt, nachdem ihn Frau Hellbrecht auf die Fährte ihres Neffen gesetzt hatte. Glücklicherweise hatte er eine Woche Urlaub, in der er zwar
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