Rabenschwarz
ursprünglich das Holzgeländer im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses am Annaturmplatz hatte abschleifen und lackieren wollen, aber jetzt hatte er eine andere Mission.
Seit dieser Herbert Feldmann vor Jahren in der Wohnung über ihm eingezogen war, war sein häuslicher Friede empfindlich gestört. Viele lachten über diesen Feldmann, da er in aller Öffentlichkeit Selbstgespräche führte, aber ihn brachte etwas ganz anderes aus der Fassung: Feldmann war ein notorischer Tagedieb. Ein Drückeberger, der auf Kosten seiner Tante lebte, ein absoluter Versager, wenn es um das Reinigen des Treppenhauses ging, ein Lärmverursacher und Nichtstuer erster Güte! Als er an Feldmanns Briefkasten dachte, der in all den Jahren wahrscheinlich sowohl Putztuch als auch Haushaltsreiniger lediglich auf den Supermarktwerbeblättchen gesehen hatte, die dort hineingeworfen wurden, stieg ihm erneut das Blut zu Kopf. Feldmann und er, das waren Nord- und Südpol, das waren Feuer und Wasser, das war Krieg! Er war über fünfzig Jahre, und er war der erste Mieter dieses Hauses gewesen und brauchte es sich nicht bieten zu lassen, dass ein Spinner wie Feldmann die ganze Hausordnung umkrempelte!
Die Aussicht, dieses Subjekt zu beschatten und vielleicht endlich bei dem erhofften Fehltritt zu ertappen, der ihn ein für alle Male bei seiner Tante in Misskredit bringen würde, war verlockend.
Also war er aufgebrochen und hatte sogar vergessen, die Mülltonne hinauszustellen.
Und dann hatte diese Odyssee begonnen: Ihm war der Name der Ortschaft entfallen, in deren Nähe dieses Hotel stand. Zunächst glaubte er sich an einen Ort mit der Endung ... rath erinnern zu können, und er hatte Sasserath, Rupperath und Ohlerath abgeklappert. Dann waren ihm Zweifel gekommen, ob es nicht vielleicht doch Ohlenhard anstatt Ohlerath gewesen war, und er hatte dort sein Glück versucht. Und schließlich erinnerte er sich daran, dass der Ort auf ...scheid endete, und kariolte eine Weile durch Hilterscheid, Pitscheid, Mutscheid und Willerscheid, bis er endlich in Buchscheid landete und erleichtert feststellte, dass er sein Ziel erreicht hatte. In dem winzigen Ort Heistert winkte ihm eine Truppe Jugendlicher, die zu später Abendstunde noch an der Bushaltestelle herumlungerte, fröhlich zu, als er zum vierten Mal vorbeigerauscht kam. Strecker hatte als Antwort seinen Lieblingsfluch aus seiner geliebten Bundeswehrzeit vor sich hingeknurrt.
Er hatte geplant, sich in unmittelbarer Nähe zu Herbert Feldmann einzuquartieren, um ihm stets genau auf die Finger schauen zu können. Zu diesem Zweck wäre es allerdings vollkommen falsch gewesen, dasselbe Hotel zu beziehen. Also versuchte er es in der Gaststätte Zum Ruppertsnück und wurde enttäuscht. Ein gewisser Dr. Schüssler aus dem Ruhrgebiet, mit Zweitwohnsitz in Buchscheid, feierte seinen fünfundsechzigsten Geburtstag und hatte seine ganze Sippschaft aus dem Pott anreisen lassen, und diese belegte sämtliche Zimmer in dem Dorfgasthof. Also trug Strecker seinen Koffer zähneknirschend wieder ins Auto und reiste weiter.
Jetzt tauchte vor ihm das protzige Hotel aus der Dunkelheit auf, und er vermerkte zerknirscht, dass laut Verkehrsschild die gut ausgebaute L165 von Bad Münstereifel nach Schuld in Minutenschnelle zu erreichen war.
Strecker lenkte den Wagen langsam am Hotel vorbei, begutachtete dabei neugierig das prächtige Portal und lenkte ihn etwa hundert Meter weiter in einen einmündenden Waldweg. Er zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und grübelte kurz, was als Nächstes zu tun war. Schließlich kam er zu der Überzeugung, dass zu dieser späten Stunde kaum noch etwas auszurichten war, und er entschloss sich, zu schlafen und Kräfte zu sammeln.
Strecker war groß und die Sitze des Peugeot nicht gemacht für eine Übernachtung. Er wand sich eine Weile hin und her, fand schließlich eine halbwegs bequeme Stellung, in der er das bärtige Kinn mehr oder weniger über die Kopfstütze nach hinten streckte, und murmelte bösartig: »Feldmann, ich komme!« Dann schlief er, begleitet vom Hohenfriedberger Marsch aus dem Kassettenrecorder, langsam ein.
* * *
Alles, was Herbie aus seiner Position erkennen konnte, war ein Paar schwarze, blank polierte Schuhe, an deren Sohle eine Lehmkruste vom unbefestigten Gelände um Raben-Päuls Behausung klebte, und die Enden zweier schwarzer Hosenbeine. Dann wurde es plötzlich heller, und er presste sich noch tiefer in sein Versteck hinein. Sein Fuß berührte etwas
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