Rabenschwarz
übellaunig an diesem Morgen. Ehrlich gestanden fühle ich mich degradiert. Unsere Unterhaltungen beschränken sich in diesen Tagen auf dürftigen Smalltalk im Fahrstuhl .
Sie lungerten an der Rückfront des Gebäudes herum und warteten auf Fritz, die sich eine halbe Stunde zuvor telefonisch gemeldet und das Treffen in die Wege geleitet hatte.
»Wir befinden uns im Moment permanent unter Menschen. Das macht jegliche Art von Konversation zwischen uns beiden verhältnismäßig schwierig.« Herbie fegte mit den Füßen durch einen Haufen bunten Laubs. »Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob ich etwas vermisse.« Er grinste Julius frech an.
Hinter der nächsten Hausecke ertönte in diesem Moment lautes Maschinengeräusch. Offensichtlich ein großer Dieselmotor. Neugierig spähte Herbie um die Ecke und sah einen großen Tankwagen, der an der Hausmauer stand und vor sich hintuckerte. Ein fetter Schlauch wurde von einem Mann im schmutzigen Overall irgendwo zwischen den Büschen in der Nähe des Gebäudesockels versenkt. Mit einem Mal wehte Herbie ein schier unbeschreiblicher Gestank um die Nase. Es roch nach Kloake, nach verrottetem Fleisch, eine Duftmarke, wie er sie nie zuvor genossen hatte. Jetzt erschien auch Faßbender auf der Bildfläche und gab dem Mann Anweisungen.
Eine Hand fasste Herbie an der Schulter. Er fuhr herum.
Da ist ja unser Covergirl .
Fritz legte den Zeigefinger auf den gespitzten Mund und bedeutete Herbie, ihr schweigend zu folgen.
Als sie den kleinen Wald erreicht hatten und außer Hörweite waren, sagte sie: »Faßbender ist beschäftigt. Fällt also nicht auf, wenn ich meine Kaffeepause ein bisschen überziehe. Ich muss mich vorsehen. Der hat mich schon seit geraumer Zeit auf dem Kieker.« Sie stapfte durch das Laub, und Herbie hatte, wie auch die Male zuvor, Mühe, Schritt zu halten.
»Was war das für ein bestialischer Gestank?«
»Da wird der Fettabscheider der Küche geleert. Lecker, was?« Sie grinste. »Das solltest du mal im Sommer erleben, da läuft dir aber die Farbe aus dem Gesicht.«
Merke auf, treuer Gefährte: Die junge Dame ist soeben in ein vertrauliches Du verfallen. Lass dich nicht um den Finger wickeln!
Sie hatten das freie Feld erreicht und stießen auf den Feldweg. Herbie war es, als sei er die Strecke schon mindestens hundertmal gegangen. Erst jetzt bemerkte er die Plastiktüte in Fritz’ rechter Hand.
»Was kriegt denn unsere kleine Misttöle Leckeres?«
»Lammrücken von gestern Abend. Den hatten diese Seminarleute.«
»Was für ein Seminar ist das eigentlich?«
»Keine Ahnung. Irgendwer erzählte was von Steuerfachgehilfen. Ich weiß wirklich nicht.«
An der nächsten Wegbiegung wurde das Steinbruchschild erkennbar. »Kaum zu glauben, dass das hier passiert sein soll«, murmelte Fritz abwesend. »Wir waren oft hier oben. Bei Päul und so. Das hat uns beiden Spaß gemacht. Und dem alten Sack auch.«
Kann ich mir denken , höhnte Julius. Gelungene Kombination: Ein alter Sack und zwei junge Dinger .
»Nicht das, was du denkst«, wandte Fritz ein, und Herbie zuckte unmerklich zusammen. Es klang beinahe so, als habe sie die Antwort Julius gegeben, dabei spekulierte sie nur über Herbies offensichtliche Gedanken. »Ich habe mitbekommen, dass Rufus dir das gestern gesagt hat. Wir haben uns nachher noch gestritten deswegen. Er hätte das nicht erzählen sollen. Päul war gar nicht so. Das ist ihm im Suff passiert. Er hat zum Schluss wieder angefangen zu saufen. Dann hat er mich mal befummelt, und als ich ihm sagte, er solle das gefälligst bleiben lassen, da wurde er auch noch brutal. Passiert ist dann doch nix, weil er viel zu besoffen war. Ich bin dann nicht mehr hingegangen. Hab’s niemandem erzählt.«
»Auch Rosi nicht?«
Sie erreichten den zerstörten Zaun und stiegen wie selbstverständlich darüber. Schließlich tat sich zu ihren Füßen der Abgrund auf. Vor ihnen lag, unverändert wüst und verkommen, der ehemalige Steinbruch.
»Nein, Rosi hab ich nichts erzählt. Sie ist dann noch immer zu ihm gegangen. Bis es dann zu Ende ging.«
»Wo ist er gestorben?« Der Wind blies ihnen heftig aus dem Tal entgegen. Herbie vergrub die Hände tief in den Hosentaschen.
»In seiner alten Hütte. Da wollte er nicht mehr weg. Durch seine dreckigen Fenster konnte er die Vögel sehen.« Sie stieß plötzlich mit dem Zeigefinger in die Luft. »Da! Die Kornweihe!«
Ein großer Raubvogel zog in sanft geschwungenen Linien seine Kreise über dem Feld auf dem
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