Rabenschwarz
ehrfürchtig, »ich bekomme ein eigenes Auto!«
* * *
Frau Stoffels kehrte die Stufen des Pfarrhauses. Sie schob dabei den Besen, wie sie es seit ihrer Kindheit tat, vor sich her. Auch dann, wenn Pastor Rövenstrunck »Ziehen, Stoffels, ziehen!« moserte, ihr harsch den Besen aus der Hand nahm und mit ein paar ungestümen Besenhieben vorführte, wie man richtig kehrte.
Das erste Laub flatterte in diesen Tagen zu Boden, und wie all die Jahre zuvor schimpfte Frau Stoffels über den riesigen Ahorn, der seine ausladenden Zweige über dem Kirchenvorplatz ausbreitete und im Herbst Unmengen von Laub und geflügeltem Samen über dem Kopfsteinpflaster ausschüttete.
Jemand räusperte sich. Sie hielt mit dem Kehren inne und musterte den jungen Mann am Ende der Treppe. Er sah unscheinbar aus. Blond, kurzes Haar, recht ordentliche Kleidung, nur seine Wildlederschuhe waren nicht mal mehr für einen Altkleidertransport nach Polen zu gebrauchen.
»Guten Tag. Lohse ist mein Name. Wohnt hier der Pastor?« Der junge Mann setzte ein gewinnendes Lächeln auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und beugte sich leicht nach vorne. Dann warf er einen kurzen Blick auf einen Punkt zu seiner Seite, öffnete kurz den Mund, als wolle er etwas sagen, gab sich aber einen Ruck und lächelte sie erneut an.
»Ja. Das ist das Pfarrhaus«, sagte Frau Stoffels und schob eine Strähne ihres grauen Haares unter das Kopftuch zurück. »Der Herr Pastor ist aber nicht da.«
»Aha. Hm. Das ist aber schade. Ich hätte ihn sehr gerne gesprochen. Sie wissen nicht zufällig, wann er zurückkehrt?«
Frau Stoffels stieg die Stufen zu Herbie hinunter, zupfte ihr hellblaues Wolljäckchen zurecht, das sie über einer blütenweißen Kittelschürze trug, und lehnte den Besen an das Treppengeländer. Dann verschränkte sie die Arme und nahm die typische Haltung ein, die man im Allgemeinen für ein »Klääfchen« innehatte. »Der Herr Pastor, der ist wahrscheinlich den ganzen Tag unterwegs. Sie wissen ja, wie das so ist mit den Pastoren.« Sie lachte verschmitzt. »Aber fragen Sie mich nicht, wo er hin ist. Ist es denn was Wichtiges? Kann ich irgendetwas ausrichten? Eine Nachricht?« Frau Stoffels legte den Kopf schief und sah Herbie abwartend an.
Julius ahmte die Haltung der Frau nach und zwinkerte mit den Augen. Tach, Frau Schmitz! rief er plötzlich dröhnend zur anderen Straßenseite hinüber. Herbie drehte sich unwillkürlich zur menschenleeren Straße um. Dann wandte er sich wieder der Haushälterin des Pastors zu. Was war bei dieser Frau in Erfahrung zu bringen? War sie schwatzhaft? Ihre Haltung sprach dafür.
»Tja, das ist eine etwas kompliziertere Angelegenheit. Eine knifflige Geschichte um ein uneheliches Kind und so. Haarsträubende Sache«, begann er.
Frau Stoffels wurde neugierig. Sie beschloss, ein wenig zu plaudern, in der Hoffnung, im Gegenzug dafür von dem jungen Mann ein paar pikante Details zu erfahren. »Also, mal ganz unter uns: Normalerweise weiß ich immer ganz genau, wo der Herr Pastor sich aufhält, aber in letzter Zeit ... Er ist ein bisschen ...« Sie suchte krampfhaft nach dem rechten Adjektiv.
»Geheimniskrämerisch?«, versuchte Herbie auszuhelfen.
Sie sah ihn mit geweiteten Augen an. »Genau! Geheimniskrämerisch! Genau der richtige Ausdruck! Also, seit kurzer Zeit ist er wie ausgewechselt. Er war schon immer sehr ...« Es schien kompliziert, das Wesen des Pastors in Worte zu kleiden.
»Eigenartig? Schwierig?«, versuchte es Herbie erneut.
Draufgängerisch? Lebenslustig? Verwöhnt? Asthmatisch? Was soll das? Wenn du die Eigenschaften des Pfaffen in Erfahrung bringen möchtest, frag sie nach seinem Sternzeichen .
»Schwierig!«, stimmte Frau Stoffels zu. »Kein einfacher Mann, der Pastor Rövenstrunck. Kommt vom Niederrhein, wissen Sie. Aber damit komme ich schon klar. Nur in der letzten Zeit ... Wir hatten ein paar Sterbefälle hier, die ihm anscheinend sehr zu schaffen machen. Er ist sehr verschlossen und ruhelos geworden.«
»Sterbefälle?«
»Ein alter Mann aus dem Dorf. Paul Birekoven. Ist vor ein paar Tagen gestorben. Den hat der Herr Pastor sogar noch ein paar Tage vorher besucht und ihm die Beichte abgenommen. Und dann dieses Mädchen. Die Rosi Kley. Wohnte in der Nachbarschaft von meinem Bruder. Schad’ drum. Ehrlich.« Sie beugte sich vor und fragte scheinheilig: »Was soll ich dem Pastor denn wegen dem Kind sagen?«
»Eine wirklich sensationelle Geschichte. Die Mutter war ... na ja, Sie wissen
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