Rabenschwarz
schon ... so eine. Und dabei die Schwester von einem Doktor, der in Mechernich im Krankenhaus ... aber das werde ich alles dem Pastor später erzählen.«
»Ich könnte ihn ja schon mal vorbereiten.«
Herbie wagte einen Vorstoß: »Hört Ihr Herr Pastor gerne Musik?« Sie schüttelte den Kopf. »Ein Radio hat er keins. Und da sind höchstens zwei, drei Schallplatten in seinem Arbeitszimmer. Eine alte Papstmesse, eine Weihnachtsplatte mit Kinderchören, so was eben. Er guckt lieber Fußball im Fernsehen, wenn er Zeit hat. Dabei schimpft er dann immer wie ein Rohrspatz. Und dieses uneheliche Kind? Was hat es denn damit auf sich?«
So läuft das Spiel, Teuerster. Erzählst du mir was, erzähl ich dir was. Jetzt gib ihr Futter! Dann hast du sie bald geknackt .
Herbie war für einen Augenblick erstaunt über Julius’ Ausdrucksweise. Dann ließ er seiner Fantasie freien Lauf. Er liebte das. Sein Alltag war langweilig, und er führte bis auf die permanente Anwesenheit von Julius’ schillernder Persönlichkeit ein betuliches Dasein. Dabei war er in seinem tiefsten Inneren ein Abenteurer, und in der Gestalt des Herrn Lohse begann er, mehr und mehr aus seinem eigenen Ich herauszuwachsen. Hier konnte er ungestraft fabulieren und nach Herzenslust spinnen.
»Das Kind«, so begann er, »ist also das kleine Töchterchen dieser jungen Frau aus Schleiden. Drei Jahre alt, um genau zu sein.«
Julius stand mit verschränkten Armen neben Frau Stoffels und fuhr sachte mit der Spitze seiner blank polierten Schuhe die Ritzen zwischen den Steinquadern der Treppe entlang. Er lachte in sich hinein. Überlege dir den Anfang der Geschichte gut, bevor du das Ende in Angriff nimmst. Mit deinen hanebüchenen Stories wirst du noch in die Geschichte Buchscheids eingehen. Erst lügst du dem Hotelier die Hucke voll, jetzt dieser kreuzbraven Haushälterin. Pfui!
»Der passende Herr zu der Dame ist ein Kaplan aus ... Bevor ich’s vergesse: Hat der Herr Pastor einen Kassettenrecorder?«
»Hat er, hat er«, sagte Frau Stoffels unwirsch. Kaplan aus ... So konnte man doch nicht mitten im Satz aufhören! Da fiel ihr noch etwas ein: »Merkwürdig, dass Sie das fragen. Normalerweise benutzt er ihn kaum, aber letzte Nacht, da hat er ununterbrochen Musik gehört. Heute Morgen lagen dann die Kassetten im Papierkorb. Hören Sie, ich kenne mich nicht so aus mit der heutigen Technik, aber gibt es das? Kassetten, die man nur einmal hört und dann wegschmeißt? Einwegkassetten gewissermaßen?«
Tu es nicht! Du hast Blut geleckt, aber überspann den Bogen nicht!
»Einwegkassetten. Selten, aber ... Es gibt sogar Einwegrecorder. So wie diese Einwegfotoapparate. Einmal die Kassette gehört, und schwups, in den Mülleimer damit. Die machen jetzt sogar schon Versuche mit Einwegfernsehern.«
»Nein!«
»Doch!«
Frau Stoffels schüttelte den Kopf. »Und all der Müll!« Sie besann sich auf Dinge, die für sie von größerem Interesse waren. »Dieser Kaplan ...«
»Ach ja, der. Der ist der Sohn eines Politikers, der im Kreis Euskirchen kein unbeschriebenes Blatt ist. So viel darf ich verraten. Übrigens: Hat der Herr Pastor denn heute noch einen festen Termin?«
Sie legte nachdenklich die Stirne in Falten. »Ja, hat er. Um acht soll er auf dem Schlösserhof sein. Der Aussiedlerhof vorm Dorf. Die wollen was wegen der Goldhochzeit besprechen.«
»Dann könnte ich ihn ja da vielleicht treffen.«
»Das könnten Sie. Und dann erzählen Sie ihm was von diesem Politiker?«
»Ganz genau.« Herbie nickte wichtig. »Und von der Geschichte mit den falschen Hundertmarkscheinen, mit denen er in Köln diese Frau bezahlt hat. Aber das wird Ihnen der Herr Pastor bestimmt heute Abend alles erzählen!« Er schüttelte ihr artig die Hand und überließ sie wieder ihrer Sisyphusarbeit. Zahlreiche Ahornblätter waren in der Zwischenzeit bereits wieder auf die zuvor gekehrten Stufen herniedergesegelt.
»Nee«, murmelte Frau Stoffels enttäuscht, »tut der nicht. Tut der ganz bestimmt nicht.« Dann schwang sie wieder den Besen.
Der Mann, der in unmittelbarer Nähe, nur durch die niedrige Friedhofsmauer von ihnen getrennt, in gebückter Haltung an einem Grab herumgefummelt hatte, erhob sich und sah Herbie Feldmann, alias Hans-Bert Lohse, mit versteinertem Blick nach. Was hatte der Pastor mit dieser Hundegeschichte zu schaffen? Oder war es vielmehr die Haushälterin, die ihre Finger da im Spiel hatte?
Helmut Strecker beschloss, Frau Hellbrecht bald über seine ersten
Weitere Kostenlose Bücher