Rabenschwarz
könnte Zweck haben, dieser Bea mal einen Besuch abzustatten?«
»Bea?« Richard war vollkommen überrascht. »Du denkst, sie könnte dir etwas erzählen?« Er zuckte mit den Schultern. Wieder erhob er sich und kramte das Telefonbuch hervor. Er fuhr mit den Fingern durch die Seiten und sagte schließlich: »Bea wohnt in Eicherscheid.« Er nannte eine Adresse auf dem Schafeisberg. »Tu, was du willst. Frag Bea, frag den Pastor, denk an die Theatergruppe. Hier ...« Er war zu einem Sessel hinübergegangen, auf dem verschiedenfarbige Stofffetzen kreuz und quer übereinanderlagen. »Sie hat Kostüme geschneidert. Das hat sie mir erzählt. Sollte auch selber eine kleine Rolle übernehmen. Vielleicht erfährst du bei denen was.«
Herbie erhob sich. »Ich bin froh, dass du einverstanden bist. Ist mir sehr wichtig.« Er drückte Richard die Hand. Herzlicher, als er es je zuvor getan hatte. An der Türe hielt er für einen Moment inne und blickte ihm ernst in die Augen. »Trinkst du manchmal noch dein Bier im Kopfstand?«
Richard grinste. »Ich sollte es wieder mal mit echtem Kölsch versuchen. Möglicherweise bin ich etwas aus der Übung gekommen.«
»Würde es dich freuen, wenn ich etwas herausfände?«
»Wenn etwas herauszufinden ist ...«
Nachdem Richard die Türe hinter Herbie geschlossen hatte, sah er ihm durch das Fenster noch so lange nach, bis Herbie die Straße erreicht und aus seinem Blickfeld verschwunden war. »Armer Tropf«, murmelte er und zündete sich eine weitere Zigarette an.
Zehntes Kapitel
Herbie blickte dem ins Tal davonfahrenden Taxi nach und ließ den Blick nach oben wandern. Vom Schafeisberg aus hatte man einen formidablen Ausblick auf das dicht bewaldete Anwesen von Deutschlands prominentestem Barden auf der gegenüberliegenden Seite des Tales. Heino, der in der Kurstadt ein Café mit immensem Erfolg führte, residierte dort oben ungestört und abgeschirmt.
Diesseits der Erft ließ es sich aber auch nicht schlecht leben. Angesichts des Straßengefälles überlegte Herbie allerdings, wie es wohl im frostigen Winter um die Erreichbarkeit der Häuser hier oben bestellt war.
Bea Nelles bewohnte eine Wohnung im Souterrain eines Hauses, das einer Familie aus Köln gehörte und übers Jahr als Ferienhaus diente.
Als Herbie die Namen Bea Nelles und Ricarda Becker auf dem Klingelschildchen in trauter Eintracht vereint sah, wunderte ihn das nicht.
Vielleicht fand er hier eine weitere Verdächtige im Mordfall Rosi Kley. Er überlegte angestrengt, ob er Rosi schon mal in Begleitung der beiden gesehen hatte, kam jedoch zu keinem nennenswerten Ergebnis.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als sich die Türe öffnete. Eine schlanke, junge Frau mit gelbblondem Stoppelschnitt und gepierctem Nasenflügel öffnete. Sie hatte ein freundliches, offenes Gesicht und strahlte Herbie an. »Du bist Herbie?«
Er nickte, deutete zaghaft, mit ausgestrecktem Finger, auf sie und fragte: »Bea?«
Deine Umgangsformen sind formvollendet und vorbildlich. Für einen Buschmenschen jedenfalls. Ich Tarzan – du Jane .
Die Blonde winkte ab und schob Herbie sanft in den Flur. »Nein, ich bin die Ricky. Komm rein, sonst wird’s zu kalt.«
Als die Türe geschlossen wurde, klimperte irgendwo ein silberhelles Glockengehänge.
Ricky half ihm aus der Jacke und schob ihn weiter den Flur entlang. »Geh nur durch! Die Bea ist im Wohnzimmer.«
Herbie musterte im Vorbeigehen die Bilder an den Wänden. Alles war geschmackvoll eingerichtet, ein wenig verspielt und mit vielen Grünpflanzen versehen.
Was hast du erwartet, mein Bester? Denkst du vielleicht, Lesben pflegen sich so viel anders einzurichten als andere Menschen? Ich bin überzeugt davon, dass diese Bea ebenso normal aussieht wie ihre Lebensgefährtin. Sie isst und trinkt genauso wie ein Großteil der Weltbevölkerung und wird vermutlich auch ebenso auf dem Sessel oder Sofa sitzen wie jeder andere, wenn du jetzt ins Wohnzimmer kommst .
Bea war in der Tat ein absolut unscheinbarer und sympathischer Typ. Sie hatte ihr langes blondes Haar zu einem Zopf geflochten und legte eine Illustrierte weg, als sie eintraten. Sie lachte freundlich, und Julius’ Prognose hatte nur einen einzigen Schönheitsfehler: Bea Nelles saß im Rollstuhl. Herbie schluckte.
Äh, nun ja. Versuch mal, es dir vorzustellen: Deine Freundin Rosi bemerkt nicht, wie Bea sich holpernd und polternd von hinten mit dem Rollstuhl anschleicht. Dann dramatischer Zweikampf am Steinbruch. Fäuste
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