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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Kramp
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Namensschildchen mit der Aufschrift   Carola   nebst einem buntgemalten Blümchen trug, musterte zuerst Fritz mit unverhohlen skeptischem Gesichtsausdruck und schickte sie dann den Flur entlang. »Frau Krechel wohnt im Zimmer siebzehn. Sie gehört nicht zu den Pflegefällen. Die kann sich noch ganz gut selber helfen. Hat also ein Einzelzimmer. Sind Sie Verwandtschaft?«
    »Gewissermaßen«, log Herbie. »Ihr Vater war ein Vetter ... ach, das würde jetzt zu weit führen.«
    Erstaunlich, wie sehr du diese Lügerei mittlerweile verinnerlicht hast. Wahrscheinlich kannst du bald schon gar nicht mehr anders, als die Unwahrheit sagen .
    In einer Art Erkerzimmerchen saßen drei alte Leutchen zusammen um einen kleinen Zeitungstisch und starrten vor sich hin. »Frau Peetz!«, schrie eine plötzlich laut und herrisch. Die anderen reagierten mit keinem Wimpernzucken.
    Als sie das Zimmer von Frau Krechel erreicht hatten, klopfte Fritz vorsichtig an.
    Es dauerte einen Moment, und dann wurden sie hereingelassen.
    »Frau Peetz!«, tönte es wieder von hinten, als sie eintraten.
    Sybille Krechel sah aus wie eine kleine alte Kröte.
    Wie eine Schildkröte, der man den Panzer stibitzt hat, während sie gerade außer Haus war .
    Die kleine Frau blickte sie von unten herauf fragend an, zwinkerte nervös hinter ihren dicken Brillengläsern und suchte nach den rechten Worten, um zu erfragen, womit sie den beiden Besuchern dienen könne.
    »W...«, und ein paar tonlose Lippenbewegungen waren alles, was sie zustande brachte.
    Vermutlich versucht sie gerade herauszufinden, ob irgendwo noch ein Erinnerungsfetzen in ihrem verstaubten Hirn ist, der ihr sagen kann, woher sie euch kennt. Sie wird bei   Zwergnase   und   Frankenstein   landen, wenn du sie nicht bald ins Bild setzt .
    »Wir kommen aus Buchscheid«, begann Herbie die Begrüßung.
    »Na, so was«, antwortete sie mit einer dünnen, zischenden Stimme. »Schon wieder jemand aus Buchscheid.« Und als sie die erstaunten Gesichter der beiden sah, schickte sie erläuternd hinterher: »Heute Morgen war schon Pastor Rövenstrunck hier. Ein reizender Mann. Wir waren im   Café Neises   ein Stück Kuchen essen.« Sie deutete mit knochiger Hand auf ein altes Sofa aus den Fünfzigern, auf dem, liebevoll drapiert, Zierkissen lagen, die mit allerlei Stickarbeiten versehen waren. Das gesamte Mobiliar des Raumes sah absolut unscheinbar aus. Es gab einen alten Schleiflack-Wohnzimmerschrank und ein dazu passendes Tischchen samt zwei Stühlen. Da war ein Regal voll mit Nipp- und Glassachen und ein auf Öl gemachter Kunstdruck mit einer norditalienischen Seenlandschaft. Diese Dinge schienen Überbleibsel aus einem Leben vor dem Heim zu sein. Das Bett war Hauseigentum. Einfach, zweckmäßig, schlicht.
    »Er war hier, um mir die Sache mit Paul zu erzählen. Sie sehen, Sie kommen zu spät. Ich bin im Bilde.« Sie zog sich mit zwei Händen einen der Stühle heran und ließ nicht zu, dass Fritz ihr dabei half. »Ich habe es geahnt. Paul hat schon eine Weile nichts von sich hören lassen. Das war kein gutes Zeichen.« Sie kramte aus einer Schublade des Schrankes eine Tüte Eierplätzchen hervor und fragte: »Ein Glas Sprudel vielleicht?« Herbie lehnte ab. Fritz nahm dankend an. Sie beobachteten die alte Frau, wie sie mit zittrigen Händen Mineralwasser in ein Glas schüttete und es, sorgsam darauf achtend, dass sie nicht schlabberte, zu Fritz balancierte. »Haben Sie Paul gut gekannt?« Sie blickte Fritz unvermittelt ernst an. Fritz nickte.
    »Er hat mir viel von der Natur erklärt. Da war er ganz groß drin.«
    Die Alte lachte. »Ja! Ja! Paul und die Vögel!« Dann klaubte sie sich eine Hand voll Plätzchen aus der Tüte, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und begann zu erzählen. »Ohne Paul wäre ich wahrscheinlich schon tot. In dem anderen Heim in Zülpich wäre ich gestorben. Schon lange. Päul hat mich hierhergebracht. Das war lieb von dem Kerlchen.«
    »Haben Sie ihn dort kennengelernt?«, wollte Herbie wissen. Die alte Dame war froh, mit jemandem zu plaudern.
    »Nein, kennengelernt haben wir uns in Euskirchen.« Und mit wichtiger Miene fügte sie hinzu: »In der geschlossenen.« Dann biss sie in den Keks und kaute krümelnd. »Er war da wegen seiner Trinkerei. Sie hatten ihn mit diesem Bruch eingeliefert und ihm dann direkt diesen Entzug verpasst. Ich war da wegen ... na ja, vielleicht später. Und wir haben uns gemocht. Paul war ja viel jünger als ich. Eigentlich müsste ich jetzt unter der

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