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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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möglich! Vor drei Wochen hatte die Mama von Renate, ihrer besten Schulfreundin, ein Baby bekommen, aber das hatte lange gedauert, viele Wochen und Monate, und der Bauch von Renates Mama war langsam immer größer und dicker geworden und hatte endlich das Baby ausgespuckt, Renates kleinen Bruder. Und hier sollte das nun so schnell gehen? Gertrud staunte.
    Vielleicht, überlegte sie, hatte der liebe Gott Papa mit ein bisschen Zauber ausgestattet und er brauchte nur mit dem Finger zu schnippen und das Baby kam und Mama musste nicht extra dick werden. Vielleicht ging das, weil Papa ein wichtiger Mann war, einer, der, wenn er zur Arbeit ging, immer Krawatte trug und Anzug, einer, der eine Kanzlei in der Stadt hatte, wo er allen Menschen, die zu ihm kamen, half, und wo die Räume so hoch und weit waren, dass die Welt noch ein Stück größer wurde und Gertrud vor Ehrfurcht erstarrte.
    »Was für ein braves Mädchen«, sagte Frau Umlauf jedes Mal und strich ihr dann über den Kopf und immer fragte sich Gertrud, ob Frau Umlauf, die Papas Sekretärin war, deshalb Frau Umlauf hieß, weil sie ständig zwischen allen Räumen der Kanzlei herumlief.
    »Erinnerst du dich an Hanna?«
    Gertrud schaute Papa an. »Hanna?«
    Er nickte. »Ja«, sagte er, »Hanna. Sie war doch schon mal hier. Die Tochter von Frau Umlauf, meiner Sekretärin aus der Kanzlei. Erinnerst du dich wirklich nicht?«
    Doch, Gertrud erinnerte sich. Hanna war ein dünnes, blasses Mädchen mit Karottenhaaren. Wer solche Haare hatte, musste einem leidtun. Sie war einmal zu Besuch gewesen, weil ihre Mutter noch von Gertruds Vater gebraucht wurde. Also war Sabine losgefahren und hatte das Kind abgeholt, damit es nicht alleine zu Hause war. Anfangs hatten die beiden gleichaltrigen Mädchen nichts miteinander anzufangen gewusst, aber schließlich war es Sabine gelungen, sie zum Spielen zu bringen.
    »Hanna ist ein ganz armes Mädchen«, sagte Mama, »Hanna hat gar niemanden mehr, und darum kommt sie jetzt zu uns. Du musst lieb zu ihr sein.«
    Gertrud staunte. Und brachte kein Wort heraus. Anfangs. Später konnte sie nicht mehr aufhören zu fragen.
    Hanna hatte keinen Vater, ja, das gab es, dass Menschen keinen Vater hatten. Hanna hatte auch keine Oma und keinen Opa und keine Tanten und keine Onkel, überhaupt niemanden. Auch das gab es. Aber Hanna hatte nun auch keine Mutter mehr. Zwar war ihre Mutter nicht … gestorben, aber irgendwie … schon gestorben. Umgefallen. Wie ein Stein. Liegen geblieben. Wie ein Stein. Vor zwei Wochen. In der Kanzlei. Mitten im Diktat.
    »Ist das nicht schrecklich?«, fragte Mama und strich Gertrud übers Haar. Und Gertrud nickte und kuschelte sich an Mamas Bauch und Mamas Busen und um ihren Hals und dachte daran, dass sie auf die Perlenkette aufpassen musste, damit die Perlen nicht irgendwohin rollten.
    In der Nacht schlief Gertrud schlecht, schreckte immer wieder hoch, träumte von Mamas, die einfach umfielen und nicht mehr aufstanden. Drei Tage später fuhr Papa los und brachte Hanna mit. Sie hatte nur ein kleines Köfferchen und in der Hand eine Puppe mit blonden Zöpfen, die Helga hieß. Sie bekam das Zimmer neben Gertrud, das Mama und Sabine notdürftig hergerichtet hatten und das in den nächsten Wochen noch viel freundlicher gestaltet wurde. Hanna redete nicht viel an diesem ersten Tag, dafür redeten Papa und Mama umso mehr, vielleicht, weil sie nicht genau wussten, was sie sagen sollten. Am Abend rief Papa noch einmal bei der Fürsorge an und sagte, dass alles in Ordnung sei und dass er den Papierkram schnellstens erledigen werde und dass das für ihn als Anwalt überhaupt kein Problem sei.
    Als es im Haus dunkel und still geworden war und alle schon schliefen, schreckte Gertrud noch einmal hoch. Sie kletterte aus dem Bett und marschierte auf den dunklen Flur, was sie fast noch nie in ihrem Leben gemacht hatte. Sie schlich zur Nebentür, öffnete sie, huschte in das Zimmer und in das Bett, in dem das kleine Mädchen lag, das niemanden mehr auf der Welt hatte und das zusammenzuckte, als es den fremden Körper spürte, das aber sofort seine Arme um Gertruds Hals legte, sich an sie drückte und zu schluchzen begann, ganz leise nur, aber eben doch.
    »Schschsch«, machte Gertrud. Langsam wurde Hanna ruhiger und hörte zu zittern auf. Gertrud machte weiter »schschsch«, streichelte die Karottenhaare, die im Mondlicht schimmerten, und dachte, dass sie eigentlich schön waren, eigentlich schön …
    Irgendwann schliefen sie ein,

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