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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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Unterricht bekam ich in dieser Stunde so gut wie nichts mit. Ich fürchtete mich vor der anstehenden Pause, denn mir war klar, dass die Gemeinheiten meiner Mitschüler mich erneut zum Weinen bringen würden. Es kam letztlich anders als erwartet, was aber nicht weniger blamabel für mich war. An diesem Tag sollte ich mich also nochmals in Grund und Boden schämen. Unmittelbar nach dem Schellen der Pausenglocke bat mich meine Klassenlehrerin, sie in das Konferenzzimmer zu begleiten. Ich war zunächst erleichtert, weil ich so dem Gespött meiner Mitschüler aus dem Weg gehen konnte. Im Konferenzzimmer bat sie mich, auf dem Stuhl gegenüber Platz zu nehmen. Sie begann das Gespräch damit, dass sie eben das geschriebene auf der Tafel sah und meinte, dass sie gerne noch etwas näher darauf eingehen möchte.
    »Auch das noch«, dachte ich und mir war, als würde sich an diesem Tag alle Welt gegen mich verschwören. »Hast du Probleme, deine Blase zu kontrollieren?«, fragte sie.
    »Nei ... nein, das habe ich nicht«, stammelte ich und spürte, wie mir Schamesröte ins Gesicht stieg.
    »Ich habe schon öfters bemerkt, dass du nach Urin riechst«, kam von ihr als Nachsatz.
    »Das kann nicht sein, ich wasche mich täglich«, gab ich ihr als Antwort und hoffte, dass das Gespräch somit beendet wäre. Zweifellos, sie hatte recht damit, ich roch es schließlich selbst oft genug. Oftmals stank mein Urin wirklich penetrant, nur konnte ich es mir nie erklären, was die Ursache dafür war. Des Weiteren hatte ich das Problem, dass sich meine Blase anscheinend auf der Toilette nicht restlos entleerte, was jedes Mal zur Folge hatte, dass mein Slip danach nass war. Da ich die Unterwäsche von Montag bis Sonntag tragen musste, begann sie somit recht schnell unangenehm zu riechen. Ich konnte es mir nie erklären, denn ich blieb stets lange genug auf der Toilette sitzen. Das war ein Problem, dass mich, je älter ich wurde, immer mehr belastete. Mit jedem Mal, wenn ich dieses Problem zu Hause ansprach, bekam ich von meiner Pflegemutter stets als Antwort, dass das nur Ausreden dafür wären, weil ich zu faul wäre, rechtzeitig auf die Toilette zu gehen. Wollte ich nicht permanent mit nassem Slip umherlaufen, war ich also gezwungen, so wenig wie möglich zu trinken, damit ich nicht zu oft auf die Toilette musste. Prügel und verbale Erniedrigungen waren an der Tagesordnung, wenn in meinem Slip Spuren von Urin waren. Irgendwann begann ich also damit, tagtäglich meinen Slip in der vorletzten Schulpause am Toilettenwaschbecken zu waschen, ihn so gut es ging auszuwringen und ihn dann wieder nass anzuziehen, damit er, bis ich zu Hause war, wieder trocken war. Anders als meine Mitschüler, die sich in der Pause im Gang aufhielten, blieb ich in der letzten Pause als Einzige wie festgeklebt auf meinem Sessel sitzen. Ich konnte nicht aufstehen, denn meine Überbekleidung sog schließlich die Nässe von meiner Unterhose auf. Alle hätten dies gesehen und ich wäre gnadenlosem Gespött ausgesetzt gewesen. Zu Hause gab es für mich tägliche »Unterhosenkontrolle«, was so viel hieß, dass ich mich unmittelbar nach dem Nachhausekommen entkleiden und meiner Pflegemutter meine Unterhose vorzeigen musste. Selbst bei noch so kleinen Urinspuren zwang sie mich, mir die Unterhose über den Kopf zu stülpen. Ich musste mir diese so aufsetzen, dass der benetzte Urinteil über meiner Nase war und damit musste ich dann eine Stunde sitzen und daran riechen. Alle paar Minuten wurde ich von ihr aufgefordert, tief durch die Nase einzuatmen, um mir durch den intensiven Geruch zu verdeutlichen, was für ein Schwein ich war.
    Alles Weitere, was meine Klassenlehrerin zu mir sprach, kam nicht mehr bei mir an. Ich driftete mit meinen Gedanken völlig ab. Das, was am heutigen Tag geschah, war schlicht und ergreifend zu viel für mich. Schließlich bat sie mich, mein Mitteilungsheft aus der Klasse zu holen, um meiner Pflegemutter eine Nachricht zu übermitteln. Sie schrieb in das Heft, dass sie es für notwendig halten würde, mit mir einen Arzt aufzusuchen und bat diesbezüglich um Rückmeldung. Mit dem Vermerk, dass ich ihr morgen eine Unterschrift vorlegen müsste, entließ sie mich aus dem Konferenzzimmer. Als ich zurück in die Klasse kam, war meine Sitznachbarin gerade dabei, sich einen anderen Sitznachbarn zu suchen. Ab sofort saß ich nicht nur allein, sondern hatte auch so gut wie keine Freunde mehr.
    Nach der Schule nahm ich nicht den ersten Bus nach Hause, sondern

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