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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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Sie erwischte mich dabei, als ich Monate davor aus dem Schulrucksack eines Mitschülers die Jause entwendete. Rebecca war in Deutsch nicht gerade eine Leuchte und im Jahr davor gerade noch an einem »nicht genügend« vorbeigeschrammt. Ab dem Zeitpunkt meines Jausendiebstahls hatte sie mich voll in der Hand. Um mich nicht zu verpetzen, nötigte sie mich, für sie ihre Hausaufgaben zu erledigen. Ich spurte, denn schließlich wollte ich nicht als Diebin dastehen.
    Ich saß auf der Toilette und spähte mehrmals unter dem Türspalt hindurch. Ich sah, wie sie nervös von einem Bein auf das andere hin und her zappelte. Mehrmals klopfte sie an eine der drei versperrten Türen und klagte darüber, dass wir unnötig lange auf der Toilette sitzen würden. Ich war die Erste, die aus der Toilette kam. Ich stand noch mitten in der Tür, als sie mich zur Seite rempelte, um sich an mir vorbeizudrängen. Ich stieß sie zurück, woraufhin es zu einer verbalen Auseinandersetzung kam. Wie üblich für Rebecca warf sie mir gleich ihr ganzes Repertoire an Schimpfwörtern an den Kopf. Sie schimpfte mich eine stinkende Kuh, eine Diebin und als heruntergekommenes Stück Scheiße. Das war der Augenblick, indem ich ihr im Stillen schwor, dass sie mich gerade das letzte Mal so genannt hatte. In dem ganzen Gerangel geriet sie mit ihren Fingern zwischen den Türspalt. Ich sah das und nützte die Gelegenheit. Ich zögerte keine Sekunde, griff zur Türklinke und schlug mit voller Wucht die Tür zu. Sie schrie so laut auf, dass sich ihre Stimme dabei fast überschlug. Ich sah, wie Blut auf das Türblatt spritzte. All das hielt mich aber nicht davon ab »mein Werk« noch zu vollenden. Ich sprang regelrecht gegen die Tür und stemmte meinen Körper einige Sekunden lang dagegen. Rebecca schrie dabei vor Schmerzen die halbe Schule zusammen. Ich machte einen Schritt zurück, und als sie ihre Finger langsam und zitternd aus dem Türspalt zog, sah ich, dass einer ihrer Finger fast zur Gänze abgetrennt war. Ihr Zeigefinger hing nur mehr an einem letzten Stück Hautfetzen. Ich stand ihr gegenüber, einerseits mit Genugtuung, andererseits emotionslos und mit einer völligen Gleichgültigkeit. So, als würde es mich nichts angehen. Durch Rebeccas Schreien füllte sich der Raum der Toilette binnen weniger Minuten. Einige davon verließen ihn unmittelbar danach wieder, da sie den Anblick des Blutes nicht ertragen konnten. Rebecca wurde von allen bemitleidet, getröstet und umsorgt. Ich stand etwas weiter weg am Toilettenfenster und beobachtete das Ganze. Ich hatte nicht das geringste Mitleid mit ihr. Rebecca wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht und mich führte man ab ins Konferenzzimmer. Während man ihr in einer Notoperation den Finger annähte, saß ich dem Direktor und meinem Klassenlehrer gegenüber. Man gab mir das Gefühl eines mutmaßlichen Schwerverbrechers, dem man bei seinem Verhör dazu riet, ein Geständnis abzuliefern. Aber mir war das, was soeben geschehen war, völlig gleichgültig. Selbst die Androhung des Direktors, mich von der Schule zu werfen, zeigte keine Wirkung. Und auch der Anruf bei mir zu Hause ließ mich völlig kalt. Ganz im Gegenteil. Ich wusste, dass ich mit dieser Aktion ein großes Stück näher an meinem Ziel angelangt war. Im Geiste sah ich mich bereits zu Hause. Ich hoffte, meine Pflegeeltern würden nach dieser Meldung so in Rage geraten, dass sie mich von meinem Dasein erlösen und mich endlich totprügeln würden.

    Als ich nach Hause kam, war meine Pflegemutter gerade dabei, die gebügelte Wäsche wegzuräumen. Es war für mich ein Leichtes, aus ihrem Gesicht abzulesen, dass sie vor Wut nur so kochte. Ich dachte mir, dass sie gleich zur Sache kommen würde, aber da irrte ich. Essen bekam ich keines, deshalb machte ich mich gleich an meine Hausaufgaben. Sie nahm gegenüber am Küchentisch von mir Platz und beobachtete mich. Sie sprach die ganze Zeit über nicht ein einziges Wort. Andauernd sah ich sie an und beschäftigte mich mit der Frage, was wohl gerade hinter diesen kalten Augen ablaufen würde und wie lange es noch dauerte, bis sie die Beherrschung verlöre. Sie ließ sich damit Zeit, bis ich mit meinen Hausaufgaben fertig war. Ich wollte soeben aus der Tür, um meine Schulhefte in den Keller zu bringen, als sie von ihrem Sessel aufsprang und mir eines meiner Hefte entriss. Sie zerriss es in mehrere Teile und schleuderte es mir mit den Worten: »Ich bring dich um« in mein Gesicht. Ja! Endlich! Endlich sprach sie

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