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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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vorab entweder meine Pflegemutter oder mein Pflegevater gebadet hatte, erlaubt. Mich ekelte es jedes Mal, wenn ich in die Badewanne steigen musste. Das Wasser stank nach Schweiß und an der Wasseroberfläche befand sich ein Film von abgeschrubbter Hornhaut, die jedes Mal an meiner Haut kleben blieb. Doch ehe ich in dieses stinkende und verschmutzte Wasser steigen musste, ließ meine Pflegemutter in das ohnehin bereits völlig ausgekühlte Wasser noch zusätzlich eiskaltes in die Wanne. Ich wurde von ihr aufgefordert, mich hineinzusetzen und erst wieder herauszusteigen, wenn ich die Erlaubnis dazu bekam. Mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht warnte sie mich, dass ich es nicht wagen sollte, den Warmwasserhahn aufzudrehen. Ich lag der Länge nach in der Badewanne und traute mich nicht einmal mich zu bewegen. Doch kaum verließ sie das Badezimmer, stemmte ich mich mit Händen und Füßen an den Seiten der Badewanne ab und zog mich im Zeitlupentempo soweit aus dem Wasser, dass ich nur mehr mit meinem Hinterteil die Wasseroberfläche berührte. Ich musste dabei ganz vorsichtig vorgehen, den ein Plätschern des Wassers hätte mich sofort verraten. Ich musste die ganze Zeit über auf der Hut sein, denn sie ließ die Badezimmertür ganz geöffnet, sodass ich jede Sekunde damit rechnen musste, dass sie sich anschlich und mich dabei ertappte. In dieser Stellung verharrte ich immer nur so lange, bis mich die Kraft meiner Arme und Beine verließ. Ganz langsam ließ ich mich wieder in das eiskalte Wasser hineingleiten. Ich lag in diesem eisig kalten Wasser und begann wie immer nach einer Weile an meinen schrumpelig gewordenen Fingern zu zupfen, und ich begann zu beten. »Bitte, bitte, lieber Herrgott, ich habe Angst – hilf mir bitte«, flüsterte ich pausenlos ganz leise vor mich hin. Ich betete für das, was mir noch bevorstand. Meine Gebete wurden jedoch so gut wie nie erhört.
    Für gewöhnlich erwartete mich noch eine extra Behandlung in der Badewanne. Vor dieser fürchtete ich mich in all den Jahren am meisten, denn in der Badewanne hatte ich nicht die geringste Chance, zu entkommen. Nachdem mich meine Pflegemutter lange genug in dem eisig kalten Wasser frieren ließ, kam sie ins Badezimmer und stellte sich vor die Wanne. Sie stützte die Hände an ihren Hüften ab und sah mich von oben herab an. Ich konnte dabei erkennen, wie sehr sie es genoss, mich hier drinnen liegen zu sehen. Mein Zittern vor Kälte wich dem Zittern vor Angst. Wie immer begann sie mich aus dem Nichts heraus zu erniedrigen. In der Regel begann es so, dass sie mich fragte, ob es mir im Wasser kalt wäre. Ich nickte nur mit dem Kopf, was ausreichend war, dass sie mit ihren Belehrungen begann. Sie stand vor der Badewanne und schimpfte auf mich ein, dass ich gefälligst dankbar sein sollte, dass ich überhaupt baden dürfe und dankbar dafür sein solle, nicht in einem Heim aufwachsen zu müssen. Ob ich mir bewusst sei, welches Opfer sie für mich bringen würden, war gewohnheitsmäßig ihre nächste Frage. Ihren Belehrungen folgten Beschimpfungen. Sie begann aufzuzählen, wozu ich nichts taugen würde. Die Liste als Taugenichts war aus ihrer Sicht fast endlos. Es war eine Art von Unterhaltung, in der sie mir wie immer verdeutlichte, dass ich nichts anderes als eine Verliererin war. Ihre Lieblingsfrage, wie ich zukünftig mehr Dankbarkeit zeigen könnte, war nichts anderes als eine Falle, um mich zu foltern. Denn, was ich ihr auch als Antwort gab, es war stets das Falsche. Für die »unpassenden« Antworten haute sie mir eine rein oder tauchte meinen Kopf unter Wasser. Manchmal hielt sie mich so lange unter Wasser, dass ich in meiner Todesangst völlig panisch um mich schlug und sie das eine oder andere Mal mit meinen Händen im Gesicht erwischte und ihr eine Schramme zufügte. Irgendwann änderte ich meinen Plan. Statt meiner Pflegemutter bei ihren Verhören zu antworten, nickte ich nur mehr bejahend oder verneinend mit dem Kopf. Aber mit dieser Taktik kam ich genauso weit, wie bei der anderen. Für mein Schweigen oder wie sie es nannte, dass ich mein Maul nicht aufbrachte, erntete ich dieselbe Folter. Ihre Badewannenspiele hatten längst schon Spuren hinterlassen. Im Laufe der Jahre schlichen sich in meinem Kopf grausame Bilder ein. Neben meinen nächtlichen Albträumen, verzweifelt an einem Abgrund zu stehen, träumte ich immer öfter, dass ich leblos an einer Wasseroberfläche trieb.
    Mit dem freiwilligen Ausscheiden aus meinem Leben würden mir auch

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