Rabenvieh (German Edition)
Gemüsekeller, als ich mich übergeben musste und ich spürte noch einen kurzen Moment, wie es mir warm zwischen meinen Beinen hinunterlief. Danach wurde es wieder Nacht um mich.
Ich zitterte am ganzen Körper, als ich erneut erwachte. Es dauerte eine Zeit lang, bis ich überhaupt realisierte, wo ich war. Nach wie vor lag ich auf der kalten Erde im Gemüsekeller – vor und neben mir mein Erbrochenes. Ich versuchte all meine Kräfte zu mobilisieren, um wieder in mein Zimmer zu kommen. Eine halbe Ewigkeit dauerte es, bis ich dort angekommen war. Kaum dort, verspürte ich von neuem Brechreiz. Mir fehlte die Kraft und auch die Motivation, mich wieder die ganze Strecke in den Gemüsekeller zu schleifen. Stattdessen blieb ich einfach auf meinem kalten Zimmerboden liegen. In immer kürzer werdenden Abständen erbrach ich weißen Schleim. Ich war selbst dafür zu schwach, um mich von meinem Erbrochenen weiter wegzubewegen. Mein Kopf fühlte sich an, als wöge er zehn Zentner. Ich bemühte mich, ihn so lange wie möglich über meinem Erbrochenen zu halten. So lange, bis mich das letzte Quäntchen Kraft verließ, ihn in mein Erbrochenes legte und einschlief.
»Steh auf!«, drang es in mein Unterbewusstsein. Es war die Stimme, die mich daran erinnerte, dass ich wieder in meinem erbärmlichen Leben zurückgekehrt war. Ich öffnete meine Augen, hob meinen Kopf etwas an und sah meine Pflegemutter vor mir stehend, ihre Arme in den Hüften abgestützt. Als ich zu ihr aufblickte, erkannte ich, wie viel Macht sie über mich hatte und wie sehr sie das genoss.
»Ich habe gesagt, du sollst aufstehen«, fuhr sie mich erneut an. Zeit für Selbstmitleid hatte ich nicht. Ich bemühte mich, ihren Anweisungen zu folgen. Mein Versuch scheiterte. Völlig entkräftet sank ich wieder vor ihr zusammen und brach zu allem Überfluss auch noch in einen Weinkrampf aus.
»Wenn du nicht sofort aufstehst, gebe ich dir einen Grund zum Plärren«, plärrte sie mich an.
Ich hoffte, mein Körper würde wenigstens noch dieses eine Mal über ein paar letzte Kraftreserven verfügen - vergebens. Mir war dermaßen speiübel und meine Hände zitterten, als wäre ich über Nacht an Parkinson erkrankt. Ich hatte keine Kraft, um aufzustehen und ich wünschte mir, sie würde die Axt aus dem Kohlekeller holen und mich endlich mit einem einzigen Schlag von meinem Dasein befreien. Für einen kurzen Moment dachte ich sogar daran, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten, ließ es aber letztendlich sein, da ich wieder damit rechnen musste, dass sie es nur als Provokation sehen könnte.
Sie nahm mich wie üblich an den Haaren und zog mich hoch. »Du willst dich schon wieder meinen Anweisungen widersetzen? Du Rabenvieh, merk dir eins: Du bist ein Nichts und das wirst du auf alle Zeit auch bleiben«, flüsterte sie mir ganz leise ins Gesicht, ehe sie mich wie eine heiße Kartoffel wieder zu Boden fallen ließ.
Gott, wie ich sie hasste. Ich wünschte sie wäre tot. Doch ehe sie starb, sollte sie all den Schmerz und die Einsamkeit, die ich während all dieser Jahre durchlitten hatte, am eigenen Leib erfahren. Und ich hasste mich, mehr als je zuvor, denn ich war nun auch noch zu dumm, meinem Leben ein Ende zu setzen.
Meine letzte Hoffnung
Ich hoffte mit jedem Tag, dass meine Pflegemutter es irgendwann wieder einmal vergessen würde, das Wohnzimmer während ihrer Abwesenheit zu versperren, um wieder an Medikamente zu kommen. Für den Fall des Falles nahm ich mir vor, alle Medikamente zu nehmen, damit es nicht noch einmal schiefgehen würde. Mit all den Medikamenten, die sie in dieser Schublade hortete, hätte man einen Elefanten töten können. Für mich würde es somit allemal reichen. Natürlich dachte ich auch immerzu an andere Methoden. Mich vor ein fahrendes Auto zu werfen, war mir zu unsicher, denn möglicherweise würde ich da nur leicht verletzt werden oder im Rollstuhl landen. Auch versuchte ich einmal, mir mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden, brach es aber ab, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie ich langsam verblutete. Ich wollte einen angenehmen Tod. Einen, bei dem ich nicht qualvoll verenden würde. Einen, bei dem ich einfach nur sanft einschlafen könnte. Ich befand mich von Kindesbeinen an in einem niemals endenden Albtraum und ich war der Meinung, dass mein Tod nicht auch noch qualvoll sein müsste. Wie verzweifelt ich war, konnte ich schon längst mit Worten nicht mehr wiedergeben. Jeder Tag bei dieser Pflegefamilie war die Hölle auf
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