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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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der Zwischenzeit begleichen könnte. Ich war wütend und verzweifelt zugleich, aber das Darlehen lief nunmal auf meinen Namen und ich hatte keine andere Wahl, als die Zahlungen zu übernehmen. Wie ich das anstellen sollte? - Ich hatte keine Ahnung. Mir war klar, dass ich damit finanziell an oder sogar weit über meine Grenzen stoßen würde.
    Um schließlich den Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können, musste ich mich neben Job und Schule auch noch um einen Zweitjob umsehen. Immer und immer wieder rief ich sie an, um sie daran zu erinnern, ihren Verpflichtungen nachzukommen, aber zunehmend machte es den Anschein, als wollte sie sich an unsere Vereinbarung nicht mehr erinnern. Ich hörte von ihr in den darauf folgenden Monaten so gut wie nichts mehr. Sie rief mich weder an, noch überwies sie Geld.
    Es war genau drei Tage vor Heiligabend, als ich sie wieder einmal telefonisch kontaktierte. Sie war wie in den vergangenen Gesprächen schon unüberhörbar angewidert und barsch. Ich versuchte mich zu beherrschen, indem ich, so gut es mir aufgrund dieser Situation möglich war, ruhig und höflich blieb, weil ich wusste, dass ich anders nicht die geringste Chance hatte, an mein Geld zu kommen. Doch das Gespräch entwickelte sich in eine ganz andere Richtung. Noch ehe ich mit meiner Bitte an sie herantreten konnte, keifte sie durch das Telefon: »Ich schulde dir nichts! Du hast uns die ganzen Jahre ohnedies mehr als genug gekostet. Ruf nicht mehr an!« Noch ehe ich eine Antwort darauf geben konnte, legte sie auf.
    Binnen weniger Sekunden füllten sich meine Augen mit Tränenflüssigkeit. Ich versank zusammengekrümmt und schluchzend in meinem Sofa. Ich war doch tatsächlich so naiv gewesen, zu glauben, dass sie es ehrlich meinen könnte. Dachte ich wirklich, dass ich durch das Darlehen endlich an Liebe gelangen könnte? Mein Gott, wie grenzdämlich war ich nur. Hatte ich nicht schon aus den Erfahrungen mit Friederike genug gelernt? Es schien so, als wäre ich in dieser Sache unbelehrbar. Friederike war notorisch pleite. Das Geld, das sie verdiente, und das Geld, das sie als Witwenpension bekam, schleuderte sie oftmals regelrecht aus dem Fenster. Sie kleidete sich permanent mit der aktuellsten Mode ein, ging mehrere Tage in der Woche auf Partys und Feste und verpulverte dort ihr ganzes Geld. Geld, welches ihr für die Verpflegung ihrer Kinder dann fehlte. Deshalb kam sie nur allzu oft zu ihrer Mutter und borgte sich von ihr Geld. Hatte meine Pflegemutter gerade nicht genug Geld bei sich, kamen die beiden folglich zu mir. In solch einem Moment standen beide mit einem herzlichen Gesichtsausdruck vor mir und baten mich liebevoll um Geld, welches ich selbstverständlich in Kürze zurückbekommen würde. Das wenige Geld, das ich während meiner Ausbildungszeit verdiente, versuchte ich zu sparen. Selbst gönnte ich mir rein gar nichts. Jedes einzelne Mal borgte ich Friederike demnach Geld. Und das aus einem einzigen Grund. Der Grund war, dass ich aufgrund meiner Großzügigkeit in den darauf folgenden Tagen menschlich behandelt wurde, was bedeutete, dass ich nicht hungern musste, dass sie mich nicht »die Bettbrunserin« nannten und dass ich keine Schläge zu erwarten hatte. Mit dieser Tat hatte ich mir somit Auszeit für Misshandlungen aller Art geschaffen. Jeden einzelnen dieser Tage genoss ich in vollen Zügen, denn ich wusste, dass mir dieses menschliche Dasein nicht lange vergönnt war. Um zumindest ein paar Tage im Monat Auszeit von den Misshandlungen zu haben, fasste ich daher irgendwann den Entschluss, mein wenig verdientes Geld Monat für Monat freiwillig anzubieten. Ich ging mit meinem Geld in der Hand zu meiner Pflegemutter, streckte es ihr entgegen und fragte sie, ob sie oder Friederike Geld bräuchte. Meine Pflegemutter nahm es mir jedes Mal »dankend« aus der Hand und ich war froh, mich ein paar Tage wieder als Mensch fühlen zu dürfen. Dies war ein Geben und Nehmen der besonderen Art. Ich bezahlte schlicht und einfach für ein menschenwürdiges Leben.
    Obwohl ich keine Misshandlungen meiner Pflegeeltern mehr zu befürchten hatte, beging ich wieder denselben Fehler, indem ich meiner Pflegemutter dieses Geld gab. Es war zu spät. Ich saß auf einem enormen Schuldenberg und brauchte eine schnelle Lösung.
    Ich suchte mir deshalb eine weitere Arbeitsstelle. Von nun an hatte ich so gut wie keine Freizeit mehr. Wenn ich nicht gerade die Schulbank drückte, arbeitete ich. Vom frühen Morgen bis in die Mittagsstunden

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