Rabenvieh (German Edition)
Taxifahrer gegangen, ließ ich mich auf dem Fußboden nieder. Ich legte mich auf den Rücken, streckte Arme und Beine weit von meinem Körper weg und schloss dabei meine Augen. Ich fühlte mich wie der glücklichste Mensch auf Gottes Erden. Ich hätte die Welt umarmen können. All die Demütigungen und Misshandlungen gehörten von nun an der Vergangenheit an. Tränen begannen über meine Wangen zu laufen. Es waren Tränen der Erleichterung.
»Du hast es geschafft, du hast es geschafft, du hast es geschafft …Du hast überlebt«, sagte ich unzählige Male zu mir selbst. So musste sich also Freiheit anfühlen. Ein unfassbar schönes Gefühl. Ich konnte es kaum glauben. Ich war FREI!
Einige Monate später. Ich hatte mich in meinem neuen Zuhause schon recht gut eingelebt und war gerade aufgestanden, da läutete das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war meine Pflegemutter. Seitdem ich von zu Hause gegangen war, hatte ich zum Glück nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen. Mir gefror fast das Blut in den Adern, als ich ihre Stimme hörte. Sie musste wohl ahnen, dass ich auflegen würde, denn schließlich bat sie mich gleich zu Beginn, es nicht zu tun. Ich kam ihrer Bitte nach und hörte mir an, was sie zu sagen hatte. Es verwunderte mich, dass sie so außergewöhnlich nett zu mir war. Sie fragte mich, wie es mir denn ginge, ob ich mich schon eingelebt hätte und womit ich mein Geld verdiene. Sie schien sich für mich und mein Leben richtiggehend zu interessieren. Ich war sprachlos. Und erst recht als sie sagte, dass sie mich in den nächsten Tagen gerne auf einen Kaffee einladen wolle. Ich war völlig durcheinander. Würde sie nun endlich Reue zeigen? Würde sie jetzt versuchen, alles wieder gutzumachen? Würde sie sich entschuldigen und eingestehen, dass sie mich all die Jahre wie Dreck behandelten hatten? Auf meine Frage, warum sie mich denn treffen wolle, antwortete sie mir nur, dass sie mit mir etwas zu besprechen hätte und es ihr ein Anliegen wäre, wenn sie dies in einem persönlichen Gespräch könnte. Im Glauben, dass sie mir zeigen und sagen wolle, wie leid ihr das nachträglich alles täte, willigte ich ein.
Wenige Tage nach diesem Telefonat trafen wir uns in einem Kaffeehaus. Sie umarmte mich und zu meiner noch größeren Verwunderung bekam ich zur Begrüßung auf jede Wange einen Kuss. Sie war so unbeschreiblich freundlich zu mir, was ich bislang nur gegenüber ihren beiden Töchtern kannte. Wie schon bei unserem Telefongespräch vor wenigen Tagen tat sie, was mich und mein Leben betraf, sehr interessiert. Wir saßen bereits eine ganze Weile am Tisch, als sie schließlich das Thema wechselte und zu erzählen begann.
Sie erzählte mir, dass sie vor wenigen Tagen Post vom Finanzamt bekommen hätte. Der Inhalt dieses Schreibens wäre ein Bescheid, der sie dazu aufforderte, das über Jahre zu viel erhaltene Pflegegeld zurückzuzahlen. Durch meine Volljährigkeit kam es zu einer Endabrechnung seitens des Finanzamtes und dabei wurde festgestellt, dass sie über viele Jahre zu viel ausbezahlt bekamen, wie sie meinte. Eine erhebliche Summe an Rückzahlung wäre nun die Folge, fügte sie hinzu.
Ich ahnte, welche Frage bald auf mich zukommen würde. Mein Verdacht bestätigte sich Sekunden danach, indem sie mich fragte, ob ich ihr dieses Geld nicht borgen könnte. In meinem Kopf überschlugen sich Gedanken und Fragen. Warum kam sie ausgerechnet zu mir? Diese Frau, die mich in all den Jahren nur Hass spüren ließ und die meine Seele und meinen Körper bis aufs Blut gepeinigt hatte, bat mich um Geld? Ganz abgesehen davon müsste sie doch wissen, dass ich so kurz nach meiner Ausbildung nicht viel verdiente. Das wenige Geld, das ich hatte, reichte gerade einmal für Miete, Strom und um mich so halbwegs über die Runden zu bringen. Mit meinen Gedanken konfrontierte ich sie. Sie meinte daraufhin, dass sie wüsste, dass ich kein Bargeld hätte, und bat mich deshalb um ein Darlehen. Ich könne das Darlehen bei ihrer Bank beantragen, denn den Bankberater kenne sie schon viele Jahre, was die Sache sicher leichter mache, wie sie meinte. Um die Rückzahlung bräuchte ich mir keinerlei Gedanken machen, denn das würde sie selbstverständlich tun. Auf meine Frage, warum sie nicht zu ihrem Mann ginge, bekam ich als Antwort, dass er von diesem Bescheid nichts wüsste und wenn er das rausfände, es Krach gäbe.
Ich sagte ihr nicht zu und meinte, dass ich mir einige Tage Bedenkzeit einräumen möchte, um mich damit
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