Rabenzauber
junge Männer an, wenn sie fünfzehn oder sechzehn sind, und dann gibt es eine geheime Einweihungszeremonie. Sie nehmen nicht viele Jungen auf - nicht mehr als fünf oder zehn pro Jahr. Ich weiß nicht, was bei der Zeremonie passiert, aber mein Bruder hatte eine Woche oder länger Prellungen. Für gewöhnlich wählen sie jene jungen Leute aus, die … nun ja, die ihren Familien Probleme bereiten.«
Er sah Phoran an, dann seufzte er. »Ich weiß, dass sie letztes Jahr etwas damit zu tun hatten, als ein paar junge Schurken den Webermarkt zerstörten. Ich sah, wie Toarsen früh am Morgen nach Hause kam, sturzbesoffen und mit einer Axt in der Hand. Ich hätte etwas sagen sollen, aber«, er zuckte bedauernd die Achseln, »er ist nun mal mein Bruder.«
»Kennst du irgendwelche älteren Mitglieder?«, fragte Phoran. »Die Raubvögel?«
»Ein paar«, antwortete Avar mit raschem Grinsen. »Die, über die mein Bruder sich am meisten beschwert. Die Anführer des Pfads - der Sept von Gorrish ist einer von ihnen, und Telleridge ein anderer. Mein Vater gehörte auch dazu. Ich denke, deshalb haben sie meinen Bruder ausgewählt.«
Phoran schloss die Augen und dachte nach. »Hatte die Webergilde sich nicht offiziell über Gorrish beschwert, kurz bevor der Markt zerstört wurde? Sie haben die Beschwerde hinterher fallen lassen, weil sie Geld für den Wiederaufbau beschaffen mussten.«
»Ihr habt recht«, antwortete Avar ein wenig zögernd. »Ich hätte nie angenommen, dass es ein wirkliches Motiv geben
könnte. Ich dachte immer, der Geheime Pfad sei ein Spielplatz für Jungen, die nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen.«
»Ich habe gehört, man könne nicht Erbe eines Sept und gleichzeitig Mitglied des Pfads sein«, sagte Phoran.
»Gorrishs Vater und seine drei älteren Brüder sind an der Pest gestorben, die das Reich vor etwa zwanzig Jahren heimsuchte«, sagte Avar. »Und er ist nicht der einzige jüngere Sohn, der schließlich geerbt hat.« Er lächelte. »Mein eigener Vater war ebenfalls ein jüngerer Sohn.«
Phoran hatte eine schreckliche Idee. Vielleicht lag es daran, die vergangene Nacht im Gespräch mit einem Barden verbracht zu haben, dass er jetzt an die alte Geschichte vom Schatten denken musste. Die erste Magie, die der Schatten auf die Welt losgelassen hatte, war die Pest gewesen. Vielleicht lag es an all dem Gerede über Magie - oder daran, dass er derzeit so viel mit dem Memento zu tun hatte. »Wie viele dieser zweiten und dritten Söhne oder Vettern, die einen Sept beerbt haben, waren denn Angehörige des Pfads?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht genau - ich war damals etwa vier, Phoran. Die jüngeren Söhne, die unerwartet erbten … oh, Siegelburg, Telleridge, Jenne und ein paar andere. Ihr wollt damit doch nicht sagen, der Geheime Pfad sei für die Pest verantwortlich gewesen, oder?« Avar schüttelte den Kopf. »Viele Menschen sind gestorben, Phoran. Und die meisten waren keine Septs mit Erben, die zufällig Mitglieder dieser Geheimgesellschaft waren.«
»Du hast sicher recht.« Phoran lächelte und wechselte das Thema. »Ich werde für morgen eine Ratssitzung einberufen«, sagte er.
»Ach ja?« Avar war so überrascht, dass er regelrecht beleidigend klang.
Phoran lächelte ihn finster an. »Es ist vielleicht seit dem Tod meines Onkels zu einer Gewohnheit geworden, dass Gorrish solche Sitzungen einberuft, aber er nutzt dabei ein Vorrecht des
Kaisers. Nun werde ich es ebenfalls nutzen, und ich möchte, dass du ihnen die Nachricht überbringst. Vielleicht kannst du sie ja überzeugen, dass es nur eine alberne Laune von mir ist - sag ihnen, ich hätte erwähnt, mich zu langweilen.«
Avar starrte ihn lange Zeit an, dann nickte er. »Das werde ich tun. Um welche Zeit soll die Sitzung stattfinden?«
In dieser Nacht kam das Memento wieder. Phoran wartete ungeduldig darauf, dass es fertig wurde. Schließlich leckte die kalte Zunge die Bisswunden sauber, und das Memento machte das übliche Angebot.
»Warst du ein Reisender, der vom Geheimen Pfad gefangen gehalten wurde?«, fragte Phoran.
»Ja«, sagte das Memento und verschwand so plötzlich wie immer.
Bleich und ein wenig benommen ging der Kaiser zu seinem Schrank und zog ein Gewand über. Mit nur geringer Vorsicht - denn die Räume des Pfads befanden sich in einer abgelegenen Ecke des Palasts - kehrte er ohne große Probleme zu der Zelle des Barden zurück. Er stellte fest, dass Tiers Tür nicht verschlossen war, aber als er hereinkam, lag
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