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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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achdem der Hüter wieder friedlich geworden war, lauschte Jes dem leisen Gespräch im Schlafraum seiner Eltern.
    »Ich dachte, ich sollte einfach zu der Stelle zurückreiten, wo Benroln sich von uns getrennt hat«, sagte Lehr gerade. »Von da an kann ich ihrer Spur folgen.«
    »Es gibt vielleicht eine einfachere Möglichkeit«, wandte Tier ein. »Deine Mutter sagte, Willon habe euch eine Landkarte gegeben, bevor ihr nach Taela aufbracht.«
    »Ich hole sie«, sagte Lehr. »Das kann ich tun«, rief Jes leise. »Ich weiß, wohin Mutter sie gelegt hat.«
    Mutter hatte sie in die Truhe gepackt, in der Papa ein paar Andenken an seine Soldatenzeit aufbewahrte. Jes holte die Karte heraus und kletterte die Leiter hoch.
    Seine Mutter lag im Bett unter der Decke. Ihr Haar war dunkel von Schweiß, und auch sie hatte Ringe unter den Augen, die beinahe wie blaue Flecke aussahen. Sie atmete nur flach und gab leise Geräusche von sich wie ein müdes Kind.
    Der Hüter kam heraus, um sich zu überzeugen, dass sie in Sicherheit war. Jes berührte die Decke direkt oberhalb ihrer Füße; sie schlief so fest, dass sie nicht einmal träumte.
    Als der Hüter wusste, dass gut für sie gesorgt war, beruhigte er sich wieder. Papa setzte sich auf seine Seite des Betts, und Lehr hatte sich im Schneidersitz auf den Boden gehockt; beide
hatten den Hüter beobachtet und ihm die Zeit gelassen, die er brauchte.
    Es gab genug Platz für Jes in dem schmalen Raum zwischen dem Fußende des Betts und der Leiter. Er reichte Papa die Landkarte und setzte sich auf den Boden.
    »Danke«, sagte Papa, als er die Karte entgegennahm und sie vor sich auf das Bettzeug legte.
    Er betrachtete sie einen Augenblick, dann tippte er mit dem Finger auf eine Stelle. »Dort haben wir uns getrennt. Das ist die Straße, die Benroln nahm.« Er zog den Finger über die Karte auf sich zu.
    Jes konnte die Beschriftung, die für ihn auf dem Kopf stand, nicht lesen - die Schrift war zu kunstvoll für ihn -, aber der Hüter konnte es.
    »Edren«, sagte Papa. »Upsarian. Colbern.« Er zögerte, dann berührte er mit dem Finger die letzte Stadt, die er erwähnt hatte. »Willon nahm diese untere Straße zurück nach Redern.« Er fuhr mit der Hand entlang der unteren von drei Straßen, die nach Osten und Westen verliefen. »Sie ist besser für Wagen geeignet - es gibt Brücken und nicht nur Furten. Er sagte, er sei in Colbern vorbeigekommen. Die Stadt ist etwa so groß wie Leheigh. Sie hatten ihre Tore für Besucher verschlossen. Eine Seuche.«
    Der Hüter, der sich bisher damit amüsiert hatte, Jes zu erklären, an welchen Punkten die Karte nicht stimmte, wurde sofort aufmerksam.
    Papa sah Lehr an. »Ich habe mich schon gefragt, welches Desaster Benroln gerufen hat, wenn es hier immerhin einen vom Schatten besudelten Troll gab, den er hätte bekämpfen können. Eine Seuche mag so etwas durchaus bewirken.«
    »Lehr darf nicht gehen«, grollte der Hüter.
    Lehrs Brauen kletterten beinahe zum Haaransatz, aber bevor er die Antwort geben konnte, die ihm zweifellos auf der
Zunge lag, sagte Papa: »Ich bin ganz deiner Meinung. Es ist zu gefährlich.«
    Lehr ballte die Fäuste. »Ich bin kein Kind mehr. Ich weiß, wie ich mich vor der Pest schützen kann. Ich werde niemanden berühren. Ich werde mit niemandem Essen oder Kleidung teilen. Mutter sagte, ich solle zu Brewydd gehen, und genau das werde ich tun.« Er stand auf, aber der Hüter erhob sich ebenfalls und stellte sich ihm in den Weg.
    Lehr hat recht, sagte Jes zu ihm. Vater braucht Brewydd, und Lehr ist nicht dumm. Er weiß, wie man auf sich aufpasst.
    Dann hatte er plötzlich das Bild eines Sterbenden im Kopf. Das Gesicht der Person lag im Dunkeln, also konnte er nicht einmal sehen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Er spürte nur die alles verschlingende Trauer des Hüters.
    Brewydd wird dort sein, erinnerte er ihn.
    »Jes?« Die leise Stimme seines Vaters drang in seine innere Auseinandersetzung ein.
    »Brewydd wird dort sein«, stimmte der Hüter zu und zog sich langsam wieder zurück. Brewydd würde nicht zulassen, dass Lehr krank wurde.
    »Brewydd wird dort sein«, sagte Jes laut zu Papa und hörte, wie Lehr erleichtert seufzte.
    »Lass mich gehen«, bat Lehr ihren Vater. »Ich bin überzeugt, dass ich es kann.«
    Papa rieb sich müde das Gesicht. »Also gut. Also gut. Versuche, heute Nacht gut zu schlafen, und brich morgen früh auf. Nimm die Karte mit.« Er faltete sie und reichte sie Lehr. »Sie wird dir den

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