Rabenzauber
Toarsen. Toarsen hielt immer noch das Schwert, aber er hatte es in eine Scheide gesteckt und lässig an seine Schulter gelehnt. Es war vermutlich dumm, dachte Phoran, dass er von den vier Menschen, denen er vollkommen vertraute, nur einen wirklich gut kannte. Avar hatte es nicht gewusst, aber der Pfad hatte auch ihn zu einem Werkzeug gemacht, um für einen schwachen Kaiser zu sorgen. Er war zuerst Phorans Vorbild und dann sein Gefährte bei vielen Gelagen gewesen. Der Sohn des Sept von Leheigh hatte jedoch nie das gleiche Maß an Verkommenheit erreicht wie Phoran selbst. Wie eine Goldmünze im Schlamm hatte der Freund des Kaisers etwas Schimmerndes, Reines an sich, das nichts wirklich beflecken konnte.
Bis vor einem Monat hatte Phoran Avars Bruder Toarsen und Toarsens besten Freund Kissel nur gut genug gekannt, um sie zu grüßen, wenn sie sich auf dem Flur begegneten. Beide jungen Männer hatten einen schlechten Ruf - und nach dem, was der junge Kaiser im vergangenen Monat erfahren hatte, war dieser Ruf wahrscheinlich noch günstiger, als sie es verdienten.
Inzwischen wusste er jedoch, dass beide vollkommen zuverlässig waren. Tieragan aus Redern hatte sie ihm zum Geschenk
gemacht - oder der Kaiser war ein Geschenk für die jungen Männer gewesen, da war Phoran sich nicht ganz so sicher.
Der Sept von Gerant jedoch war eindeutig Tiers Gabe an Phoran. Gerant war so selten nach Taela gekommen, dass Phoran nicht sicher sein konnte, ob er dem Mann je zuvor begegnet war, bis der Sept auf einen Ruf des Kaisers in die Hauptstadt geeilt war - ein Ruf, den er auf Tiers Veranlassung hin ausgesandt hatte.
Vor Gerants Ankunft hatte Phoran ihn sich als einen alternden Avar vorgestellt: groß, charismatisch und körperlich beeindruckend - besonders, nachdem er einiges über die Siege gelesen hatte, die der Sept vor zwanzig Jahren gegen die Fahlarn errungen hatte. Aber Gerant war kein Riese, kein auffälliger Held.
Er war eher kleiner als der Durchschnitt und sah ein Dutzend Jahre jünger aus, als er tatsächlich war. Er kleidete sich bescheiden und beobachtete mehr, als er sprach. Zuerst hatte Phoran ihn für einen behäbigen Mann gehalten, der treu wie Gold war, aber auch für einen Menschen, der sorgfältig nachdenken musste, bevor er handelte. Und er hatte damit recht gehabt - nur, dass Gerant schneller dachte als die meisten. Phorans Onkel hätte Gerant gemocht, und der junge Kaiser konnte sich kein größeres Kompliment denken.
»Das habt Ihr gut gemacht«, sagte der Sept jetzt.
Phoran trank einen Schluck Wasser. »Gebt mir noch ein Dutzend Jungfrauen, die ich vergewaltigen kann, und das Theaterstück wird vollständig sein.«
»Er ist nie besonders guter Laune, wenn er gerade sein Frühstück wieder losgeworden ist«, murmelte Avar.
»Gut, dass es nicht noch zwei oder drei mehr waren«, fuhr Phoran fort. »Oder ich hätte angefangen, sie zu erstechen, statt sie zu enthaupten. Vielleicht hätte ich ja eine Axt nehmen sollen?«
Avar ging zu einem Krug und goss Bier in die fünf Kelche, die daneben warteten. »Bier, meine Herren? Man kann nicht mit ihm reden, wenn er in dieser Verfassung ist.«
»Es ist schwierig«, sagte Gerant. »Viel einfacher, die Mistkerle umzubringen, wenn sie einem ein Schwert an die Kehle halten, als es eiskalt zu tun, wenn sie winseln und zittern.«
»Ich hätte es für Euch erledigt«, meldete sich Toarsen zu Wort. Faszinierenderweise hatten sich die gleichen Züge, die Avar zu einem Ausbund an männlicher Schönheit machten, bei Toarsen zum Gesicht eines vergnügten Saufkumpans zusammengesetzt - wenn man ihm nicht in die Augen sah.
Hatte Toarsen schon Männer getötet, die gefesselt waren und sich nicht hatten wehren können? Phoran fragte nicht; er wollte die Antwort nicht wissen.
»Eine unangenehme Sache.« Kissel lockerte den Kragen seiner Hauptmannsuniform und nahm einen Kelch entgehen. »Ich töte sie auch lieber, wenn sie gerade versuchen, mich umzubringen«, fuhr er fort, als wollte er Phorans unausgesprochene Frage beantworten - obwohl schwer zu sagen war, wie ernst er es wirklich meinte: Kissel konnte sehr ironisch sein.
Kissel war der zweite Sohn des Sept von Siegelburg. Als Phoran ihm angeboten hatte, der Hinrichtung fernzubleiben, hatte Kissel seinerseits vorgeschlagen, den Sept von Siegelburg festzuhalten, während Phoran zuschlug - oder ihn selbst zu enthaupten. Offenbar hatte er seinen Vater überhaupt nicht gemocht.
Nun trank der hochgewachsene, kräftige Mann einen
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