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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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denn
falsch daran, wenn die Kinder begreifen, welche Befehle sie verweigern müssen,
um nicht zu Verbrechern zu werden? Und ist es nicht richtig, wenn sie lernen,
was es bedeutete, ohne eigenes Land, ohne eigene Armee, ohne eigene Macht
dazustehen? Und letztlich nehme ich in Kauf, wieder zu Adolf Gerechter zu
werden, damit kein jüdisches Kind mehr zu Adolf Gerechter werden muß. Sie
sollen wissen, was dort war, und einige dieser Jugendlichen werden Zettel
voller Namen hervorholen, die ihnen die Großmutter oder der Großvater mitgaben,
um vorzulesen, welche Ahnen ermordet wurden, und manche werden zusammenbrechen,
wenn sie begreifen, woher Oma und Opa stammen. Sie werden sich an mich hängen,
an ihrer aller Pflegeopa, und ich kann gar nicht anders, als in ihnen die
Neffen und Nichten, die Enkel und die Urenkel zu sehen, die ich nie hatte, und
je mehr ich diese Kinder namens Halbwachs, Süßkind, Jacobson und Kleinman
liebgewinne, um so mehr hasse ich mich dafür. Ich, Dov Zedek, gehe zugrunde
daran, daß Adolf Gerechter in mir an Kraft gewinnt und zu Recht Rache
einfordert, weil er mir stellvertretend für alle anderen aus meiner Familie
unentwegt die Frage stellt, weshalb ich noch lebe, und die einzige Antwort, die
ich ihm und den anderen bieten kann, ist, daß ich ohnehin auch bald tot sein
werde, und diese Zusicherung mag auch jene beschwichtigen, die nichts mehr
hören wollen von den Juden und ihrem Leid, die murren, es möge endlich Schluß
sein - nur Geduld, es wird nicht mehr lange dauern. Und sogar vor dir, Ethan, weiß
ich keine andere Rechtfertigung als jene, daß ich selbst allmählich zu nichts
als Erinnerung und Vergeßlichkeit werde, und so bitte ich dich um Nachsicht.
Diese Kassette wird dich erreichen, wenn ich nicht mehr sein werde. Dann wirst
du um mich trauern, obwohl du lieber jener gedenken solltest, die ermordet
wurden, denn meinetwegen braucht es keine Gebete. Hörst du, Ethan? Für mich muß
kein Kaddisch gesprochen werden.
     
    4
     
    Im Meer nächtlicher Finsternis
tauchte die Stadt auf. Tel Aviv leuchtete ihnen entgegen. Jerusalem möge sie
nicht, sagte Noa, aber die Stadt da unten. Habua, die Blase: Das Schimpfwort
für Tel Aviv sei ein Ehrentitel. Sie schwebe wie eine luftig leichte
Schaumkugel über Krieg und Konflikt, liege jenseits von Religion und
Regionalismen, sei schillernd und vielfältig. Hier finde sie Luft zum Atmen.
    »Blasen platzen, früher oder
später«, meinte Ethan und fragte, ob sie mit ihm ein Glas Sekt trinken wolle.
Den gebe es im Flugzeug gratis.
    »Für mich Tomatensaft.«
    »Mit Salz und Pfeffer?« wollte
er wissen, aber da ertönte bereits das Signal zum Anschnallen. Der Landeanflug
begann.
    Noch waren sie nicht zum
Stehen gekommen, da wurden schon überall die Mobiltelefone eingeschaltet. Die
Hektik war ihm unerträglich. Alle taten, als müßten sie so schnell wie möglich
hinaus, um nicht wieder dorthin zurückverfrachtet zu werden, woher sie gerade
gekommen waren. Früher, erinnerte er sich, hatten die Leute beim Aufsetzen der
Maschine geklatscht. Den israelischen Piloten gebührte besonderer Applaus,
denn sie seien, wurde ihm, dem kleinen Buben, erklärt, die besten Flieger
überhaupt, alle beim Militär ausgebildet. In den siebziger Jahren waren Einwanderergruppen
aus der Sowjetunion in Begeisterungsschreie ausgebrochen, sobald die Räder den
Boden berührten, und dann war gesungen worden. Hava nagila oder Hevenu schalom alechem. Einer der Neuankömmlinge
hatte Ethans Vater gefragt, ob in Israel Spezialisten für Eckzähne gefragt
seien.
    Kurz bevor sie aufbrachen,
hatte auch ihn diese Aufregung ergriffen, als sei er ein Neueinwanderer, der
eine Existenz hinter sich lasse und alle Brücken abbreche. Dabei war alles
viel einfacher als in früheren Zeiten, als selbst eine Urlaubsreise nach Tel
Aviv nur mit Umsicht und Planung zu bewältigen war. Damals mußten Mehlspeisen
mitgenommen werden, auf die manche Bekannten im Nahen Osten sehnsüchtig
warteten. Es genügte, Mozartkugeln zu überreichen, um als Stargast behandelt zu
werden. Über Mannerschnitten aus Osterreich kam man ins Schwärmen, als handle
es sich um einen Goldschatz. Auch die Reise in die andere Richtung war nicht
einfacher. Wenn die Eltern nach Wien flogen, wurden Pita, Falafel, Humus,
Techina, Salzgurken, Nüsse, hebräische Literatur und israelische Zeitschriften
eingepackt. Mittlerweile konnte Ethan in Wien bei orientalischen Verkäufern
zwischen irakischem, türkischem, georgischem und

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